(Foto: Marmen Quartet)
Marmen Quartet
1. Preis - Internationaler Streichquartettwettbewerb in Bordeaux 2019 (geteilter Preis)
17 Uhr
Aula der
Albert-Schweitzer-Schule,
Schillerstraße 1, 36304 Alsfeld
Die KünstlerInnen
Laia Valentin Braun | Violine
Bryony Gibson-Cornish | Viola
Sinéad O’Halloran | Violoncello
Biografie:
Das 2013 am Royal College of Music in London gegründete Marmen Quartet, tut sich momentan als einer der interessantesten jungen Vertreter der internatio-nalen Kammermusikszene hervor.
Das Ensemble ist nicht nur Gewinner der jeweils 1. Preise der Internationalen Streichquartettwettbewerbe in Banff (2019) und Bordeaux (2019) und der Royal Over-Seas League Competition (2018), sondern gewann auch den zweiten Preis sowie den Sonderpreis für die beste Interpretation eines zeitgenössischen Werks (Four Quarters von Thomas Adès) bei der 8. International Joseph Joachim Chamber Music Competition.
Das in London ansässige Quartett war Stipendiat der Guildhall School of Music String Quartet Fellowship (2018-2020) und studierte an der Hochschule für Musik in Hannover bei Oliver Wille sowie in London bei Simon Rowland-Jones und John Myerscough (Doric Quartet). Die vier Musiker wurden von dem verstorbenen Peter Cropper betreut und erhielten Auszeichnungen der Musicians Company/Concordia Foundation, der Hattori Foundation, Help Musicians und der Royal Philharmonic Society (Albert and Eugenie Frost Prize).
Das Quartett konzertierte bereits bei großen europäischen Radiosendern wie dem Swedish Radio und dem BBC Radio 3 sowie bei bedeutenden Festivals wie der BBCS Proms, den Sommerlichen Musiktagen Hitzacker, dem Kammermusikfest Lockenhaus, dem Edinburgh Festival Fringe, dem North Norfolk Music Festival und dem Lake District Summer Music Festival. Weitere Engagements führten das Quartett kürzlich zum Lucerne Festival, zur Biennale nach Barcelona und der Gulbenkian Foundation, zum Wonderfeel Helsinki und zu den Estivales de Musique en Medoc.
Es erfolgten Einladungen mit einem Beethoven Zyklus nach Schweden, auf eine Kreuzfahrt nach Norwegen, eine Tournee nach Japan, zu Oktettkonzerten mit dem Doric String Quartet, Debüts in der Berliner Philharmonie und im Pierre Boulez Saal und Weitere. Das Marmen Quartet gastierte 2020 als Teil des 1. Preises des Internationalen Streichquartettwettbewerbs in Banff in zahlreichen Europäischen Städten, u.a. in Amsterdam, Basel, Meran, Nürnberg und Zürich.
In der Saison 22/23 wird das Quartett sein Debüt in Israel mit Konzerten u.a. in Jerusalem und Tel Aviv geben, sowie beim Quartettfest in Heidelberg, in München und dem Rheingau Musik Festival zu Gast sein.
https://konzertdirektion.de/kuenstler/marmen-quartet/
Das Programm
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Streichquartett B-Dur KV 159
Andante
Allegro
Rondo: Allegro grazioso
Leoš Janáček (1854-1928)
Streichquartett Nr. 2
"Intime Briefe"
Andante - Con moto - Allegro
Adagio - Vivace
Moderato - Adagio - Allegro
Allegro - Andante - Adagio
*****
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Streichquartett e-Moll op. 59 Nr. 2
Allegro
Molto adagio. Si tratta questo pezzo con molto di sentimento
Allegretto - Maggiore. Thème russe
Finale. Presto
Programm-betrachtungen
von Dr. Walter Windisch-Laube
Drei Lebensalter umfasst die Werkfolge dieses Konzertprogramms, und wenn wir sie uns als Kreislauf des Lebens vorstellen wollen, so läuft er hier im Gegenuhrzeigersinn: von jung bzw. früh über alt resp. spät hin zur mittleren Schaffensphase des im Programmverlauf dritten Komponisten.
Mozart (Jugendwerk).
Den insgesamt 68 Streichquartetten von Joseph Haydn, dem Stammvater der Gattung, setzte Mozart 30 Werke dieser Besetzung entgegen; spätestens seit dem Herbst 1773, seit Mozarts ‚Wiener Quartetten‘, befanden sich beide Komponisten in einem wechselseitigen, fruchtbaren und betont wertschätzenden Streichquartett-Wettbewerb. Zuvor hatte Wolfgang Amadé Mozart sich auf seiner dritten Italienreise Winter 1772/73 in die Gattung kompositorisch gleichsam eingeübt. Dorthin führt uns das heutige Spätnachmittagsprogramm als Erstes.
Die sechs ‚italienischen Quartette‘ Köchel-Verzeichnis 155 bis 160 sind tonartlich nach fallenden Quinten von D über G, C, F und B bis Es geordnet, alle in Dur, quasi eine halbe Tonartenuhr gegenläufig durchschreitend. Das B-Dur-Quartett KV 159, als fünftes an vorletzter Stelle der Reihe, fällt formal insofern aus dem Rahmen, als es nicht wie die Geschwisterwerke nach dem Vorbild der neapolitanischen Opern-Sinfonia in der Satzfolge schnell – langsam – schnell gebaut ist; vielmehr beginnt das - gleichfalls dreisätzige - B-Dur-Opus mit einem graziösen Andante-Satz, dem zwei sehr unterschiedliche Allegros folgen.
In KV 159 greift der gerade 17jährige Komponist nach zwei der für sein späteres Schaffen bedeutsamsten Tonarten: B-Dur (Tonalität u.a. seines letzten Klavierkonzertes und seiner vorletzten Klaviersonate) und g-Moll (u.a. repräsentiert durch die ‚kleine‘ und die ‚große‘ g-Moll-Sinfonie sowie reife Kammermusik-Werke – Tonart einer ‚gemischten Stimmung‘).
Besonders der zweite, der g-Moll-Satz ist musikalisch markant: er führt kraftvoll, kontrastreich und ausdrucksintensiv vor Ohren, dass Mozart (bereits hier) auch als ‚absoluter‘ Instrumentalmusiker sich häufig opernhafter Gestik und gleichsam szenischer Wirkungen bedient. Wie die anderen italienischen Quartette ist auch das B-Dur-Werk eher selten von Konzertpodien zu hören. Dabei bietet es, nicht nur im erwähnten Allegro assai, sondern auch in den Ecksätzen vollgültige Mozartsche Kunst, etwa mit mitreißend synkopierten Rhythmen und melodisch-harmonischen ‚Prolongationen‘, sprich Verlängern von Spannungsbögen und Hinauszögern von Auflösungen, sowie – namentlich im Rondo-Refrain des Finalsatzes – mit der musikantisch vergeistigenden Art, tänzerische Bewegungen und Haltungen in die Hände der Instrumentalist*innen zu geben.
Janáček (Spätschaffen).
Nur zwei Streichquartette komponierte Leoš Janáček, und beide sind sie Alterswerke – das eine ein Opus aus dem 70. Lebensjahr, das andre aus Janáčeks Todesjahr 1928: das Werk eines 73jährigen. Die beiden Werke bilden ein Solitäre-Paar in der Streichquartett-Historie, ganz unverwechselbar in ihrer Klanggestalt sowie vermöge der literarisch-persönlichen Bezüge oder Subtexte. Auch mit ihnen erweist sich der Mähre Janáček als der Meister der tschechischen Musik auf dem Weg vom 19. ins 20. Jahrhundert.
Sein erstes Quartett heißt „Die Kreutzersonate“ und ist eine musikalische Auseinandersetzung mit Leo Tolstois gleichnamiger (ihrerseits wiederum auf Beethovens nämliche Violinsonate bezugnehmende) Erzählung um eine quälende, mörderisch endende Ehe. Das zweite, hier zu hörende Streichquartett mit dem Titel „Intime Briefe“ spiegelt Janáčeks Beziehung zu der 38 Jahre jüngeren Vertrauten oder Geliebten Kamilla Stösslová; es hat gegenüber dem ersten eine spürbar positivere Grundstimmung, wirkt weitaus weniger zerrissen oder düster. Stösslová war Janáčeks ‚Muse‘ in seinem letzten Lebensjahrzehnt; das 2. Streichquartett kondensiert gewissermaßen die rund 1000 Briefe umfassende Korrespondenz der beiden. So überrascht es wenig, dass dies ‚Dokument der Liebe‘ kantilenen- und figurationsreicher als das erste Quartett gestaltet ist, oder dass es vielfach und vielfältig die Violin- den tiefen Streicherstimmen klanglich gegenübersetzt, nicht selten auch im Sinne einer musikalischen ‚Figur-Grund-Beziehung‘: mittels Heraustreten oder Sich-Abheben einer Melodiestimme aus einem durch die anderen Instrumente gebildeten Klanggrund.
Hatte sich Janáček in seinem 1. Streichquartett fast gänzlich von der „thematischen Arbeit“ klassischer Streichquartette verabschiedet und die Spieler oft nurmehr gestische Floskeln und Motive einander ‚zuwerfen‘ lassen, so kehrt er mit den ‚intimen Briefen‘ an vielen Stellen zu größeren Melodielinien und thematischen Einheiten zurück, nicht ohne andererseits auf besondere, auch geräuschhafte Klangwirkungen zu verzichten, zum Beispiel harte, heftige Tremoli oder ätherische bis schneidende Effekte „sul ponticello“, durch Anstreichen nahe dem Steg.
Das Werk hält ungeachtet dessen eine kontrastreiche Fülle an fast süßlich bis süß-sauer daherkommenden ‚Liebes-Perlen‘ bereit: schwärmerisch-innige bis pathosgeladene melodische Linien oder expressive thematische Gebilde mit großen Intervallsprüngen, tänzerische Momente auch, flirrendes Figurenwerk und furiose Steigerungswirkungen; die klanglich-thematische Bandbreite reicht bis hin zu Koloristik und sogar Folkloristischem (und steht so der von Janáčeks großen Opernwerken nicht nach).
Beethoven (Mitte des Lebens).
Wäre der Name „Russische Quartette“ nicht schon für Joseph Haydns sechs Streichquartette op. 33 vergeben gewesen, so hätte sich für Beethovens drei Werke op. 59, die so genannten Rasumowsky-Quartette, wahrscheinlich dieser Name durchgesetzt. Sie wurden von Graf Andrei R., seines Zeichens russischer Gesandter am österreichischen Hof, in Auftrag gegeben und ihm, dem Musik-Enthusiasten, Mäzen, Geiger, Freund und Förderer Beethovens von diesem im Entstehungsjahr 1806 gewidmet.
Die ersten beiden Quartette op. 59 weisen ausdrücklich je ein „Thème russe“ auf, das dritte eine russisch anmutende Melodie als Basis des langsamen Satzes. Im Kontext von Beethovens insgesamt 16 Streichquartetten betrachtet, bleibt das in e-Moll op. 59/2 den Form-Konventionen vergleichsweise nahe; doch das Raffinement (samt ‚Teufel‘) steckt sozusagen im Detail.
Mit der Kleingliedrigkeit der motivisch-thematischen Gebilde (und ihrer gestisch- bis ephemeren Anmutung) im 1. Satz wird Beethoven sogar zu einer Art Vorreiter von Janáčeks Partikel-Technik. Der bisweilen etwas amorph und fast ziellos erscheinende Kopfsatz dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Beethovens e-Moll-Quartett zunächst auf Unverständnis stieß und noch für längere Zeit als zwar bedeutend, doch unpopulär (ob seiner Bizarrerie) galt. Tatsächlich ist vom Hören allein der Formverlauf dieses Eingangssatzes nur schwer mitvollziehbar (Beethoven schrieb, dessen vielleicht ebenso eingedenk wie der formalen Ausgewogenheit, für alle Satzteile Satzteile eine Wiederholung vor). ‚Typisch beethovensch‘ ist außer Extremlagen, metrischen Verun-klarungen und Gegenakzenten sodann die ausgedehnte Coda des Kopfsatzes.
Im Werk 59/2 verwendet Beethoven erstmals e-Moll als Grundtonart einer seiner Kompositionen. Die Keimzelle auch für das Kopfmotiv des 1. Satzes bildet dabei allerdings das eigens markierte ‚russische Thema‘ aus dem E-Dur-Teil des dritten, des Allegretto:
Rasumowsky hatte Beethoven offenbar gedrängt, das (später auch von Mussorgsky verwendete) russische Volkslied ‚Preis sei Gott im Himmel‘ dem Quartett einzuverleiben. Beethoven konterkarierte dies national-folkloristische Ansinnen, indem er das Thema fugiert auftreten lässt und bei der letzten Themendurchführung in einer Weise enggeführt, dass solches wie ein Sich-ins-Wort-fallen oder Sich-gegenseitig-Stören der Quartett-‚Gesprächspartner‘ bzw. als ein humoristischer Einfall wirkt. Das Allegretto-Scherzo verblüfft auch durch seine Fünfteiligkeit resp. den mehrmaligen Wechsel von Moll-Hauptteil und Dur-Trio.
Der ausgedehnteste Einzelsatz des Quartetts ist sein E-Dur-Adagio an zweiter Stelle, gleichermaßen intensiv wie extensiv (auch er der Sonatenhauptsatzform angelehnt), und ausdrücklich mit einer Spielvorschrift für ‚großes Gefühl‘ versehen. Dieser langsame Satz symbolisiert laut einer überlieferten Aussage des Komponisten die Harmonie der Sphären – sie scheint sich insbesondere im sehr getragenen, fast hymnischen Beginn und in den Schluss-Abschnitten zu spiegeln.
Dabei kann auch an jenen berühmten Satz aus dem „Beschluss“ von Immanuel Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ gedacht werden: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.” E-Dur gilt spätestens seit Christian Friedrich Daniel Schubarts „Charakteristik der Töne“ (Beethoven nachweislich bekannt) als Tonart der Freude und Seligkeit.
Es folgt besagtes Scherzo, und ihm wiederum ein Presto-Parforceritt in schnellen Halben: das Rondo-Finale, ein feurig-zündender, mithin (im übertragenen Sinne) ‚zündelnder‘ Kehraus. Bemerkenswert dabei im Übrigen die von Beethoven ‚implementierte‘ tonartliche Polarität C-Dur – e-Moll; auch sie mit Bezug auf den Dichter, Komponisten und Musikästhetiker Schubart les- bzw. hörbar, der die Nachbarschaft von e-Moll und C-Dur am Ende seiner Betrachtungen hervorhob. Und Beethoven ließ dann dem zweiten Quartett aus Opus 59 das dritte in eben diesem C-Dur folgen.