G. F. Händel: Messiah
Sonntag, 18. Mai 2025
17 Uhr
Walpurgiskirche
Kirchplatz 1, 36304 Alsfeld
DIE KÜNSTLER
Solisten:
Gabriele Hierdeis, Sopran
Birgit Schmickler, Alt
Christian Rathgeber, Tenor
Christoph Kögel, Bass
Barockorchester "L'arpa festante"
Alsfelder Konzertchor
Leitung: Thomas Walter
Vitae
Gabriele Hierdeis absolvierte ihre künstlerische Ausbildung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main; während dieser Zeit wurde sie als Stipendiatin in die Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommen und gewann den Lenzewsky-Preis für Liedgesang. Als Solistin konzertiert sie nicht nur in Deutschland und im westlichen Europa: Engagements führten sie u.a. nach Nord- und Südamerika, Russland, China und Nordafrika.
Ihr breit gefächertes Konzert- und Opernrepertoire reicht vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik. Auch Lied und Kammermusik bilden einen wichtigen Akzent in Ihrer künstlerischen Arbeit. Zahlreiche deutsche Rundfunksender haben sie für Studio- und Live-Produktionen verpflichtet.
Darüber hinaus gibt es mit Gabriele Hierdeis eine Reihe von CDs bei internationalen Labels, wie z.B. CPO, Analekta, Brilliant Classics, harmonia mundi, Musicaimmagine und Musica Sacra. Auf Einladung renommierter Barock – Ensembles wie Musikpodium Stuttgart (Ltg. Frieder Bernius), L’Orfeo-Barockorchester (Ltg. Michi Gaigg), La Risonanza, Mailand (Ltg. Fabio Bonizzoni), The New York Bach Ensemble (Ltg. Joshua Rifkin), Ensemble Caprice (Matthias Maute), Holland Baroque Society, Cantus Coelln und La Stagione Frankfurt (Ltg: Michael Schneider) hat Gabriele Hierdeis zahlreiche Konzert- und Opernpartien gesungen, u.a. im Schlosstheater Potsdam, im markgräflichen Opernhaus Bayreuth und im Rahmen der Göttinger Händel–Festspiele, des Festival de Música Antiga de Barcelona, der Händelfestspiele Halle, des Oude Muziek Festival Utrecht, des Dresdner Musikfests und der Trigonale Österreich.
Aber nicht nur im Bereich von Barock und Klassik, sondern auch auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik ist Gabriele Hierdeis als versierte Interpretin regelmäßig bei renommierten Festivals zu Gast. Mit bedeutenden zeitgenössischen Komponisten wie Jörg Widmann, Karl-Heinz Stockhausen, Wolfgang Rihm, Helmut Lachenmann, Salvatore Sciarrino und Marc André hat sie persönlich zusammengearbeitet.
Unter Leitung von Sylvain Cambreling, Beat Furrer, Bernhard Kontarsky, Franck Ollu, Frieder Bernius, Georg Christoph Biller und Johannes Debus trat sie mit international bekannten Ensembles wie dem Klangforum Wien, dem Ensemble Modern und dem Minguet-Quartett an der Oper Frankfurt, bei den Schwetzinger Festspielen, dem Festival d’Automne, Paris, Musica Straßburg, dem Steirischen Herbst, Graz, und dem Lincoln Festival in New York auf.
Birgit Schmickler studierte bei Elsa Cavelti und Eike Wilm Schulte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main.
Seit vielen Jahren arbeitet sie mit Carol Meyer-Bruetting.
Zum breiten Konzertrepertoire der vielseitigen Mezzosopranistin gehören sowohl die großen Messen und Oratorien von Bach, Händel. Haydn, Mozart und Mendelssohn, als auch Werke zeitgenössischer Komponisten wie Boulez, Nono oder Rihm.
So führten sie Konzertverpflichtungen u.a. an die Alte Oper in Frankfurt, die Kölner Philharmonie und das Wiener Konzerthaus.
Birgit Schmickler war Mitglied des Opernstudios am Staatstheater Wiesbaden und gab ihr Operndebüt am Staatstheater Stuttgart als Arnalta in Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“.
Eine langjährige Zusammenarbeit verband sie mit der Oper Frankfurt wo sie als Dritte Dame in Mozarts „Zauberflöte“ debütierte. Darauf erfolgten dort weitere Engagements, wie Rosette in Massenets „Manon“, Blumenmädchen in „Parsifal“, Popa in „Die drei Rätsel“ von Detlev Glanert, oder Marcellina in „Le Nozze di Figaro“.
Als Marcellina gastierte sie auch an der Oper Bonn.
Sie arbeitete mit DirigentInnen wie Julia Jones, Paolo Carignani, Nicholas Kok, Mathias Breitschaft, Roland Böer, Ralf Otto und Donald Runnicles zusammen.
Christian Rathgeber erhielt seine erste musikalische Ausbildung im Windsbacher Knabenchor. Er studierte an der Musikhochschule Mainz bei Prof. Andreas Karasiak. Weitere Impulse erhielt er durch Hans-Peter Blochwitz, Martin Hummel und Nadine Secunde.
Sein Schwerpunkt liegt auf Tenorpartien der “Alten Musik” und der frühen Romantik von Monteverdi, Bach, Händel bis Mendelssohn, die ihm eine rege Konzerttätigkeit deutschlandweit ermöglichen. Konzerte führten ihn u.a. nach Südafrika, Israel, Russland, ans Theatre des Champs-Elysées Paris in die Schweiz und zu Festivals wie dem Rheingau Musik Festival, Greifswalder Bachwoche und der Bachwoche Ansbach.
Auf der Opernbühne war er in zahlreichen Produktionen am Staatstheater Mainz und Staatstheater Wiesbaden zu erleben.
Die rege Tätigkeit in Ensembles wie dem Collegium Vocale Gent, dem Balthasar-Neumann-Chor, dem Rundfunkchor Berlin und der Bachstiftung St. Gallen runden sein musikalisches Schaffen ab.
Christoph Kögel, geboren in Kempten/Allgäu, studierte Gesang an der Hochschule für Musik in Frankfurt/Main bei Prof. Martin Gründler, und parallel dazu auch Liedgesang bei Prof. Charles Spencer. Mit dem Diplom für Opern-Gesang schloss er 1992 sein Studium ab.
Er belegte Meisterkurse bei Brigitte Fassbaender und Sena Jurinac.
Fest- und Gastengagements führten ihn an das Theater Osnabrück, an das Pfalztheater Kaiserslautern, an die Städt. Bühnen Lübeck und die Staatstheater Mainz und Darmstadt, sowie an die Zeitgenössische Oper Berlin in Kooperation mit Komische Oper Berlin.
Dort sang er Partien wie Silvio (Leoncavallo, I pagliacci), Harlekin (Strauss, Ariadne auf Naxos), König Thoas (Gluck, Iphigenie auf Tauris), Graf Almaviva (Mozart, Figaros Hochzeit), Guglielmo (Mozart, Cosí fan tutte), Falke (Strauß, Fledermaus), Pantalon (Prokofjew, Die Liebe zu den drei Orangen), Offizier (Ph. Glass, In a Penal Colony)…
Er ist seit 1999 freies Ensemblemitglied der „Kleine Oper Bad Homburg“, die sich Oper für Kinder zum Programm gemacht hat.
Im Gesangsquartett colcanto Frankfurt singt er den Bass.
Seit 1999 ist der freischaffende Künstler hauptsächlich im Konzertfach tätig. Er sang mit verschiedenen Ensembles wie den Frankfurter Vokalsolisten, mit dem Johann-Rosenmüller-Ensemble, den Hofer Symphonikern, L’arpa festante, Meininger Hofkapelle, Eesti Riiklik Sümfooniaorkester. Sang bei der Bachwoche Ansbach, den Weilburger Schlosskonzerten, im Haus Hoffmansthal in Wien, im Studio Bastille, Opera National de Paris.
Sein Repertoire reicht vom Barock bis zu zeitgenössischen Werken.
Neben Liederabenden gilt sein Hauptinteresse den Konzert- und Oratorienpartien von Bach, Brahms, Graun, Händel, Haydn, Mendelssohn, Mozart und Telemann.
Zudem führten ihn Kirchenkonzerte, Liederabende und Rundfunkaufnahmen auch ins Ausland, z.B. nach Belgien, Schweiz, Frankreich, Israel, Estland, Frankreich.
Barockorchester "L’arpa festante"
»L’arpa festante«, das zur Eröffnung des Münchner Opernhauses 1653 aufgeführte dramatische Werk Giovanni Battista Maccionis, steht symbolhaft für die künstlerische Arbeit und das musikalische Engagement des gleichnamigen Barock-, oder besser, Originalklang-Orchesters. Bereits 1983 gegründet und damit eines der traditionsreichsten deutschen Ensembles für Alte Musik, hat sich L‘arpa festante nicht nur als unverwechselbarer Klangkörper bei der Aufführung von Instrumentalwerken, sondern auch als Partner leistungsfähiger Chöre bei Aufführungen der gesamten barocken, klassischen und romantischen Chor-Orchester-Literatur einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Je nach Entstehungszeit der aufgeführten Werke verwendet L’arpa festante das passende Original-Instrumentarium und kann so die Klangfarben der Werke originalgetreu nachzeichnen.
Die große musikalische Erfahrung der einzelnen Musiker und die Virtuosität ihres musikalischen Könnens führen zum unverkennbaren Klangcharakter des Ensembles: farbig, nuancenreich, sensibel, expressiv. Mit der klanglichen Vielfalt historischer Instrumente wird das dramatische Moment in der Musik lebendig dargestellt.
Nachdem der Arbeitsschwerpunkt des Ensembles zunächst auf der Wiederentdeckung und ‑aufführung unbekannter Werke des 17. und 18. Jahrhunderts lag, rückt seit einigen Jahren zunehmend auch das oratorische und symphonische Repertoire der Romantik in den Vordergrund. Je nach musikalischen Bedürfnissen der aufgeführten Werke sind dabei Gestaltungen von der solistischen concertino-Besetzung bis zur vollen Orchestergröße von über 50 Musikern möglich.
Zahlreiche von Kritik und Publikum begeistert aufgenommene CD-Einspielungen haben L’arpa festante weithin bekannt gemacht. Die Diskographie umfasst mittlerweile über 30 Veröffentlichungen bei angesehenen Labels wie sony, accent, carus, ars und naxos und reicht von Werken des Hochbarock (Rupert Ignaz Mayr, David Pohle, Johann Philipp Förtsch, Dietrich Buxtehude) über Spätbarock (Johann Sebastian Bach, Georg Philipp Telemann, Georg Friedrich Händel, Jan Dismas Zelenka) und Klassik (Carl Philipp Emanuel Bach, Heinrich Graun, Josef Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart) bis zur Romantik (Anton Bruckner, Josef Gabriel Rheinberger, Camille Saint-Saens, César Fanck, Gabriel Fauré, Bernhard Molique, Hector Berlioz, Richard Wagner).
L’arpa festante wird musikalisch von Rien Voskuilen und Christoph Hesse (Konzertmeister, Organisation) geleitet.
https://bachkantatenverein.de/larpa-festante/
Der Alsfelder Konzertchor
1948 unter der Bezeichnung Alsfelder Singkreis entstanden, ist der Alsfelder Konzertchor seit vielen Jahren mit einem breiten Programm von geistlichem und weltlichem Liedgut durch anspruchsvolle Darbietungen zu einem Begriff über die Stadtgrenzen hinaus geworden. Die Mitglieder sind erfahrene Chorsänger zwischen 14 und 70 Jahren, die sich einmal wöchentlich zum Proben treffen. Hinzu kommen in unregelmäßigen Abständen noch Wochenendproben. Der Chor gestaltet jährlich mehrere Konzerte, unter anderem im Rahmen der Konzertreihe „Alsfeld Musik Art“, und arbeitet dabei regelmäßig mit dem Alsfelder Kammer-orchester zusammen. Das Repertoire des Chores umfasst ebenso die großen Oratorien (z.B. Mozarts „Requiem“, Händels „Saul“ oder Bachs „Johannespassion“) wie auch anspruchsvolle a-cappella-Literatur aus fünf Jahrhunderten (Madrigale, Motetten, Spirituals und Popsongs).
Sehr beliebt beim Publikum sind auch die regelmäßig stattfindenen Adventskonzerte, die von Klassik ber Gospels bis zum Weihnachtslied für jeden Geschmack etwas bieten.
Die künstlerische Leitung des Chores lag von 1999 - 2025 in den Händen von Thomas Walter und endet mit dem heutigen Konzert. Ab Juni übernimmt Herik Schlitt die Leitung des Konzertchores.
Thomas Walter studierte Schulmusik an der Musikhochschule Frankfurt mit den Fächern Klavier, Gesang und Chorleitung. Es schlossen sich ein Aufbaustudium zum Diplom-Gesangslehrer an der Musikhochschule Heidelberg-Mannheim sowie private Gesangsstudien bei Alois Treml in Stuttgart an.
Neben seiner jahrelangen Mitwirkung im Frankfurter Vokalensemble unter der Leitung von Ralf Otto trat er regelmäßig als Gesangssolist in zahlreichen Konzerten auf. Bis 2021 arbeitete er als Schulmusiker am Alsfelder Albert-Schweitzer-Gymnasium und leitete dort im Laufe der Jahre das Schulorchester, die von ihm gegründete Big-Band sowie bis zuletzt den Oberstufenchor der Schule.
1999 übernahm er die Leitung des Alsfelder Konzertchores mit dem er seitdem zahlreiche Konzerte gegeben hat (Bach: Johannespassion, Händel: Saul, Mozart: Requiem, Rossini: Petite Messe Solennelle, Spohr: Die letzten Dinge, u.a.).
Seit 2018 hat er die künstlerische Leitung der Marburger Vokalisten übernommen, einem 16-köpfigen Vokalensemble, das sich vor allem der Aufführung anspruchsvoller a-cappella-Chorliteratur verschrieben hat. Ebenfalls seit 2018 leitet er wie bereits Anfang der 2000er Jahre das Alsfelder Kammerorchester.
Er ist Mitglied im Vorstand der Kulturgemeinde Alsfeld sowie Mitorganisator der Konzertreihe Alsfeld Musik Art.
Programm-betrachtungen
von Dr. Walter Windisch-Laube
Werkbetrachtung
Bach und Beethoven: das war durch viele Jahrzehnte eine Formel für das Herzstück der deutschen Musik. Der Österreicher Mozart wurde bisweilen kurzerhand mit in die Riege deutscher Tonschöpfer aufgenommen. Haydn und Händel (der mit Bach gleichalte) dagegen sind immer wieder gern unterschätzt worden. In der Welt – damals noch eher Europa – am wenigsten herumgekommen waren von den Genannten just die beiden ‚großen B.‘. Anders der weltmännische G. F. Händel, der, aus Halle gebürtig (hat er auch deshalb – augenzwinkernd gefragt – so viele Hallelujas vertont?), über Hamburg, Italien (und die italienische Oper) sowie Hannover ins englische Königreich gelangte. Er, der erste deutsche Musiker von Weltruf, beeinflusste zwar u.a. Mozart, Beethoven und auch Mendelssohn enorm, doch seine (an)erkannte und beschriebene Wirkmacht auf die Musikgeschichte blieb hinter der für Bach reklamierten deutlich zurück. Aus deutscher Sicht zum Teil wohl auch, weil er ein ‚Abtrünniger‘ war, ganz zum Engländer wurde: George Frideric Handel, und Geschichtsschreibung ohne Nationalismus lange Zeit kaum zu denken.
Wir schreiben das Jahr 1741. Georg Friedrich Händels Opern-Erfolge in seiner Wahlheimat London liegen schon eine Weile zurück, der letzte entsprechende Vorstoß war gescheitert, und Händel nicht erpicht, sich für die bevorstehende Saison ins Zeug zu legen. Da erreichte ihn eine Einladung aus Dublin zur Teilnahme an einer Konzertreihe – mit einem Benefizkonzert. Der Librettist seines (auch in Alsfeld schon zur Aufführung gekommenen) Oratoriums „Saul“, Charles Jennens, hatte ihm bereits vorher eine Art Konvolut aus diversen Bibelstellen zugestellt, ohne eigentliche Handlung (wie es sie in Händels anderen Oratorien stets gegeben hatte), jedoch mit eindringlichen Textstellen. Stefan Zweig (der sich - an Händels Geburtstag - 1942 im Exil das Leben nahm) hat den ausschlaggebenden Impuls zur Messias-Komposition 200 Jahre nach deren Entstehung in seiner epochemachenden Sammlung dichterischer Essays, „Sternstunden der Menschheit“, so geschildert:
„Beim ersten Wort fuhr er auf. ‚Comfort ye‘, so begann der geschriebene Text. ‚Sei getrost!‘ – wie ein Zauber war es, dieses Wort – nein, nicht Wort: Antwort war es, göttlich gegeben, Engelsruf aus verhangenen Himmeln in sein verzagendes Herz. ‚Comfort ye‘ – wie dies klang, wie es aufrüttelte innen die verschüchterte Seele, schaffendes, erschaffendes Wort. Und schon, kaum gelesen, kaum durchfühlt, hörte Händel es als Musik, in Tönen schwebend, rufend, rauschend, singend.“
Die einleitende „Sinfony“ beginnt im Stil der Französischen Ouvertüre mit punktierten Rhythmen, doch bereits der Tritonus-Sprung zum zweiten Takt hin und viele Dissonanzen im weiteren Verlauf schildern musikalisch den Zustand einer Welt im Argen, in welchen hinein der Solo-Tenor einige Takte später eben jenes ‚Comfort ye‘ schmettert.
Jennens‘ Textvorlage sowie – mehr noch – Händels musikalische Umsetzung und Auslegung ist Weihnachtsoratorium, Passion und christlich-endzeitliche Erlösungs-Verheißung in einem, mit (vor allem von Jennens her) durchaus missionarischem Anspruch und deutlichem Schwerpunkt auf Texten aus dem so genannten Alten Testament. In die musikalische Gestaltung sind auch Elemente der spezifisch englischen Gattung Anthem und natürlich der Oper eingegangen.
Das Ganze gliedert sich klar in drei Teile, von denen
* der erste der Allmacht Gottes, der Ankündigung des Messias und der Geburt Jesu gilt, Letzterer als emotionalem Zentrum, mit Anleihen bei der italienischen Weihnachtsmusik-/Pastoral-Tradition – den Schlusschor bildet ‚Sein Joch ist sanft‘;
* der zweite, mit dem ‚Halleluja‘ schließende Werkteil widmet sich dem Leiden und dem Tod Christi sowie der darauffolgenden ‚Heiden‘-‚Bekehrung‘, und
* der dritte Teil – Eingangsarie ‚Ich weiß, dass mein Erlöser lebt‘ – thematisiert in Wort und Ton den christlichen Jenseits- und Erlösungs-Glauben.
Viele wohlklingende, jedoch mitunter die Grenze zu (kunst-)religiösem Schwulst oder gar Kitsch bedenklich streifende Worte Zweigs betreffen auch das „Halleluja“ und das Schluss-„Amen“. An ihre Stelle sei hier zunächst ein kurzer analytischer Blick geworfen.
Der zweite Teil des Oratoriums mündet in das „Halleluja“ (‚Lobt Jah!‘ bzw. Jahwe / Gott), eins der populärsten Stücke der gesamten Musikliteratur. Händel kombiniert dort zum Zwecke größtmöglicher Veranschaulichung und ins Monumentale führender Steigerung Kompositionsprinzipien der Motette und der Fuge. Freilich ist dieses Stück nicht das eine ‚Halleluja‘ von Händel, sondern er hat in seinem gesamten Schaffen mehr ‚Halleluja‘-Nummern geschrieben als wir im ‚Messias‘ Halleluja-Rufe vernehmen können. Doch dieses eine „Halleluja“ ist besonders. Seine wenigen, aus der Johannesoffenbarung (dem einzigen prophetischen, apokalyptischen Buch des ‚Neuen Testaments‘) bezogenen Textsätze vermitteln in nuce die wesentlichen „Messiah“-Aspekte: Gotteslob, Bekenntnis und Verheißung. Darüber hinaus werden die oben namhaft gemachten dramaturgischen Stufen des Oratoriums durch dies Chorstück repräsentiert, zum einen aus seiner Stellung im Werk: zwischen der Nachricht von der Verbreitung des Evangeliums (samt brachialer Gewalt gegen ‚Heiden‘, Unterdrücker, Feinde) und der Erlösungsverheißung, zum anderen aus dem Kontext der zugrundeliegenden Bibelstellen (Offenbarung sowie Halleluja-Psalmen): Kunde von Gottes Allmächtigkeit, von seinem Richten der Ungerechten und Gottlosen sowie vom Auferstehen und von der Himmelfahrt der Gutwilligen, außerdem (Psalm 113 u.a.) von der Genugtuung, die den Leidenden und Erniedrigten zukommen wird. Das ‚Messias-Halleluja‘ bleibt aber auch in seiner verherrlichenden Vielfalt, mit seiner Veranschaulichung der Engels-Chöre, welche Himmelfahrt und Auferstehung feiern, sowie durch sein mitreißendes Pathos unübertroffen. Um noch einmal Zweig zu zitieren:
„Ja, alle Stimmen dieser Erde darin zusammenfassen, die hellen und die dunklen, […] sie binden und lösen im rhythmischen Chore, sie aufsteigen lassen und niedersteigen die Jakobsleiter der Töne, sie schwichtigen mit dem süßen Strich der Geigen, sie anfeuern mit dem scharfen Stoß der Fanfaren, sie brausen lassen im Donner der Orgel: Halleluja! Halleluja! Halleluja! – aus diesem Wort, aus diesem Dank einen Jubel schaffen, der von dieser Erde zurückdröhnte bis zum Schöpfer des Alls!“
Der verbreitete Brauch, dass das Publikum sich beim „Halleluja“ erhebt, wurzelt in der entsprechenden Reaktion König Georgs II. von Britannien und Irland beim ersten Hören.
Der ‚Messias‘ weist maximal 21 Chor-Nummern auf; bei unserer Aufführung sind es 16. Im ersten Chor des Schlussteils kommt ein Grundprinzip dieses oratorischen Werkes aus- und eindrücklich zur Sprache, zur Vermittlung in Tönen. Es handelt sich, theologisch gesprochen, um den ‚typologischen‘ Ansatz, der Personen, Geschehnisse und Aussagen aus dem ersten (‚alten‘) Testament als Vorprägungen solcher im zweiten (dem ‚neuen‘) betrachtet und dieses als Ablösung problematischer wie Einlösung prophezeiter Gegebenheiten. „Since by man came death, by man came also the resurrection of the dead“ und „For as in Adam all die, even so in Christ shall all be made alive“. In der sprachlich-rhetorischen Figur des Parallelismus wird klargemacht: Adams wegen sind die Menschen sterblich, und Christus erweckt sie zu neuem Leben. Das ‚Alte‘, überwunden Geglaubte vertont Händel als Lamento ohne Instrumente, a cappella, das neu Verheißene als Triumphmarsch mit voller Orchesterbegleitung. Dem archaischen a-Moll wird dabei ein strahlendes C-Dur entgegengesetzt, und der ‚böse‘ Tritonus-Sprung auf ‚Adam‘, welcher im zweiten a-cappella-Abschnitt ‚todbringend‘ von g-Moll nach d-Moll führt, erfährt seine ‚bestimmte Negation‘ erneut im reich orchestrierten Kontrastteil, kraftvoll von d-Moll hinüberführend zu einem a-Moll auf neuer, Erlösung vermittelnder Affekt-Ebene. Das Typologie-Konzept sollte (fragwürdigerweise) auch ‚beweisen‘, dass Jesus Christus der von den Juden erwartete Messias sei.
Die Amen-Fuge, der unersetzliche Schluss des Oratoriums, zeigt einmal mehr Händels kompositorische Originalität und Meisterschaft – in theologischer Absicht. Das Thema wird zunächst (Fugen-Exposition) von unten nach oben durch die vier Stimmen geführt, mit sparsamen Gegenstimmen. Statt eines Zwischenspiels erklingt sodann aber eine rein instrumentale Themendurchführung der beiden Violinstimmen, ein Bicinium, kontrapunktisches Zwiegespräch, in recht hoher Lage. Die Frage, wer da mit wem spricht, bleibt offen, sicher ist jedoch, dass zu diesem ganz zarten Dialog die sich als 2. Dux (thematischer ‚Führer‘) und 2. Comes (Themen-‚Gefährte‘) anschließenden homophon vierstimmig überbauten Themeneinsätze einen starken, wirkungsvollen Kontrast erzeugen. Ihnen folgt (à la Doppelfuge) ein hier sehr dicht polyphoner zweiter Fugen-Teil, der den Achtel-Themenkopf des markanten Fugen-Hauptthemas mit anderer, feingliedriger Fortsetzung sogleich engführt, also in den Stimmen versetzt übereinanderschichtet; später kommen auch Krebsgestalt und Umkehrungen zum Einsatz. Daraus erwächst ein freies und tonal-harmonisch weit gespanntes Gewebe, das gleichwohl stets am und im Thema bleibt. Fast durchgängig verhalten sich die Stimmen rhythmisch komplementär zueinander, so dass sie in ihrer Gesamtheit den Eindruck eines steten Fließens erzeugen. Zwischenzeitlich nimmt das feierlichen und am Schluss hymnischen Charakter an; es liegt sehr nahe, hier ein mit musikalischen Mitteln gestaltetes Transzendieren wahrzunehmen, spirituelle Überhöhung und Entgrenzung.
Die Entstehung des gesamten Werkes nahm genau drei Wochen in Anspruch, es wurde also atemberaubend schnell komponiert (im Durchschnitt entstanden jeden Tag fast zweieinhalb Nummern), doch für Händels Verhältnisse gar nicht einmal extrem schnell – was freilich nur möglich war, da er sich die Freiheit zu musikalischem ‚Recycling‘ nahm und allerhand bereits Vorhandenes verwertete.
Händels ‚Messias‘ war von Anfang an ein Work in progress. Es gab und gibt von diesem Werk keine ‚authentische‘, (end)gültige, bindende Werkgestalt. Insofern sind auch Kürzungen bzw. Streichungen hier, den Aufführungsbedingungen angepasst, durchaus legitim. Ebenso lässt die Besetzung – schon aus der Historie dieses Oratoriums – mancherlei Möglichkeiten zu: Im Autograph verzichtete Händel außer der Trompete auf Bläserstimmen (dem Umstand geschuldet, dass er sich über die für die Dubliner Uraufführung zur Verfügung stehenden Instrumentalisten nicht sicher war). Bei den späteren Londoner Aufführungen waren auch Oboen, Fagotte und Hörner am Start. Das Orchester der aktuellen Alsfelder Aufführung besteht außer dem Streicher-Korpus aus 2 Oboen, Fagott, 2 Trompeten, Pauke, Orgel, Cembalo und Laute.
Händel aus heutiger Sicht: der ‚ewige Zweite‘ der deutschen Barockmusik? Ihr Popstar? Der Vergleich mit Bach lässt die Aussage zu, dass Händel bezüglich Pathos, Wirkungssicherheit und Popularität sowie, ja, auch Originalität und Modernität seinen spätbarocken Mitstreitern im oratorischen Bereich wie Telemann und Bach vielfach den Rang ablaufen kann. Händels Gesangsstimmen sind weit weniger instrumental geführt als bei Bach, die Melodik ist oft eingängiger, Händels Schreibweise zielt auf Abwechslung, Varietät, kontrastreiche Vielfalt. Das Gefühl, dass ein Satz ‚nicht enden wolle‘, stellt sich selten bei ihm ein. So gibt es im ganzen Messias nur zwei Da-Capo-Arien, also solche, bei denen nach dem ‚gefühlten‘ Ende alles noch einmal von vorn beginnt: die Alt-Arie zwischen den beiden ersten Chören zu Beginn des zweiten Teils „He was despised“ – Präsentation des ‚Schmerzensmannes‘ mit den Mitteln einer Opernarie – und die ‚dialogische‘ Trompeten-Bass-Nummer „The trumpet shall sound“ im dritten Teil, musikalisches Signal zur Auferstehung der Toten.
Mit einer Apotheose des ‚Lammes‘ endet der eigentliche Textteil von Händels einzigartigem „Messiah“, und in der vielfachen Beschwörung eines ‚forever‘, die dann durch jenes kunstvoll fugierte, multiple ‚Amen‘ ihre finale Bekräftigung erfährt.