Foto: Walter Windisch-Laube

Start der 35. Saison von Alsfeld Musik Art

Überaus gelungene Premiere - Viktor Urvalov präsentiert Rachmaninow-Programm


ALSFELD (wwl). Das hat es in Alsfeld bisher nicht gegeben: ein Rachmaninow-Klavier-Recital. Geboten wurde es vom hier heimischen Pianisten Viktor Urvalov, der – um es vorweg zu sagen – sich geradezu prädestiniert erzeigte zum Rachmaninow-Interpreten. Nach zwei lyrischen „Warm-Ups“ aus Tschaikowskis ‚Jahreszeiten‘-Monatsuhr bekam das Spätnachmittags-Konzert zu Beginn der neuen Konzertreihe „Alsfeld Musik Art“ im 35. Jahr ihres Bestehens den Charakter eines umfassenden Komponisten-Porträts: zu Ehren jenes Musikers, in dessen Werk sich ein beachtlicher Teil Musikgeschichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts spiegelt und dessen 150. Geburtstag dieses Jahr zu feiern ist. Doch zuvor – nicht ohne tieferen Grund, wie Urvalov selbst erläuterte – Pjotr Iljitsch Tschaikowski: dessen Juni-Barkarole (in betont kontemplativer Auffassung präsentiert) und „Schneeglöckchen“, eine Aufbruchs-Pièce, ließen nicht nur Rachmaninows Wurzeln aufscheinen, sondern gaben dem ausführenden 35-jährigen Künstler auch die Gelegenheit, seine lyrisch-romantischen Potentiale unter Beweis zu stellen. Es folgten in der klugen Programm-Dramaturgie drei der „Fantasiestücke“ op. 3 aus Rachmaninows Frühwerk, in deren Abfolge sich in nuce bereits die kompositorische Entwicklung vom lyrischen Romantiker hin zu einer herberen, geschärften und teilweise auch modernen Musiksprache ausdrückt sowie zugleich sein Versuch, zugunsten musikalischen Fortschreitens manch altrussischen Klang- und Melodiebildungen sich zuzuwenden, neu zu widmen. In den besten Momenten errichtet Rachmaninow dabei eine Brücke von Mussorgski zu Strawinsky. Gewisser Weise ist die Entwicklung des russischen Klavierkomponisten, wie sie der erste Konzertteil vorführte, gegenläufig zu der seines Interpreten bei Alsfeld Musik Art: Ersterer mit dem Ausbauen und häufig auch Herausstellen des virtuosen Moments, Letzterer, Urvalov, mit einer gegenüber den eigenen Anfängen als Klaviervirtuose zunehmenden Entfaltung und Ausdifferenzierung seiner emotionalen Gestaltungskraft und Ausdrucksfähigkeit.
Den Höhe- und zunächst Schlusspunkt des Programms bildeten die späten Variationen op. 42 über ein barockes Thema (vermeintlich) von Corelli, die auf originäre Weise kurzweilig sind, vor allem aber Rachmaninows kompositorische Palette wie einen Rückblick auf sein Lebenswerk ausbreiten, in ihren Wechseln von Stimmungs- und Ausdruckslagen durch Viktor Urvalov großartig in Szene gesetzt. Der dezidiert nicht-furiose Ausklang des Zyklus spricht gleichermaßen für den Urheber wie für den Interpreten: Hier geht es nicht um Effekte, sondern um Durchdringung und Sinn-Suche.
Das Publikum, trotz der Wahlen am gleichen Tag zahlreich erschienen, wurde für seinen großen Applaus mit zwei Rachmaninow-Zugaben belohnt. Die erste war jenes berühmte, zugleich düstere und klangsinnliche ‚Glocken-Prélude‘ cis-Moll op.3 No.2, mit dem Sergej Rachmaninows Weltruhm begann und mit dem sein Name für viele Menschen unlösbar oder unausweichlich verbunden ist. Viktor Urvalov widmete es ausdrücklich „allen Opfern der russischen Aggression in der Ukraine“, und auf diese Weise wurde das populäre Stück zu einem ergreifenden Bekenntnis; mehr als das: in ihm schien für Momente gleichsam Modest Mussorgskis Tonbild des ‚Großen Tors von Kiew‘ und ein Stück Utopie auf.