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                                                                           Das Minguet Quartett                                                                            Foto: Monika Laube

Feine Streichquartett-Kunst auf höchstem Niveau

Das Minguet Quartett in der Konzertreihe Alsfeld Musik Art

ALSFELD (wwl).

Dass Alsfeld auf dem Tourneeplan eines Weltklasse-Streichquartetts steht, ist sehr bemerkenswert und zugleich bezeichnend: hat sich die hiesige Klassik- und Jazz-Konzertreihe „Alsfeld Musik Art“ doch schon oft als hervorragende Adresse bewährt, ausgehend von der guten Atmosphäre und Betreuung, vom aufmerksamen, konzentrierten und fachkundigen Publikum und auch vom Alststadt-Flair sowie der gepflegten Kultur-Geselligkeit.
„Alsfeld Musik Art“ ist dabei nicht nur (wie das Städtchen selbst in vielem auch) „klein, aber fein“, sondern durchaus rekordverdächtig: Eine rein ehrenamtlich organisierte Kulturreihe, die in ihre 36. Saison geht oder, anders betrachtet, weit über 200 Konzerte veranstaltet hat. Im planenden ‚Arbeitskreis‘ sind derzeit aktiv Annette Thon (federführend), Christoph Kramer, Dieter Müller, Michaela Stephan und Thomas Walter.
Das seit 36 Jahren bestehende und europaweit äußerst renommierte Minguet-Quartett ist nach 2017 nun bereits zum zweiten Mal Gast in Alsfeld gewesen, und die Alsfelder Musik-Feinschmecker-Szene zu Gast bei ihm, das seinen Namen nach dem spanischen Philosophen Pablo Minguet e Yrol trägt; er wirkte im spätbarocken 18. Jahrhundert und hatte es sich auf die Blätter und Fahnen geschrieben, breitere Kreise für die ‚Schönen Künste‘ sowie für musische Aktivitäten zu gewinnen. Die Besetzung des Ensembles war in drei von vier Stimmen die gleiche wie seinerzeit bei AMA: Ulrich Ilsfort und Annette Reisinger an 1. und 2. Violine, Matthias Diener am Violoncello; lediglich Viola-Spielerin Aida-Carmen Soanea war zum ersten Mal in Alsfeld. Das Programm des Auftritts am vergangenen Sonntag knüpfte an das vor genau sieben Jahren an, indem es mit dem zweiten von Wolfgang Amadé Mozarts so genannten Haydn-Quartetten begonnen wurde (damals hatte sein erstes das Konzert eröffnet). Mozarts Joseph Haydn gewidmete Quartette sind Zeugnisse eines freundschaftlich-kammermusikalischen Wettstreites zwischen dem jüngeren und dem älteren Protagonisten der „Wiener Klassik“. Mozarts zweites, in d-Moll, setzte diesmal die emotionale und expressive Marke für ein in fast jeder Minute faszinierendes Konzert. Der Komponist sublimiert und destilliert hier musikalisch die durchlebte Atmosphärik und Gefühlswelt einer realen Geburt, nämlich seines ersten Sohnes; durch die im Konzert zu erlebende hohe Kunst einer zugleich stilisierend-verallgemeinernden und klang- wie ausdrucksunmittelbaren, sprich präsenten Darbietung löste sich deren Intensität freilich ganz vom Entstehungshintergrund und wurde zu einer im umfassenden Sinne künstlerischen – mit Akzenten mehr auf reflexiver Klangausbreitung denn auf Dramatik.
Ganz andere Erlebnis-Sphären bot unmittelbar anschließend, in der pastoralen Paralleltonart F-Dur, Maurice Ravels einziges Streichquartett. Dies Werk vom Beginn des 20. Jahrhunderts bildete das Herzstück des Konzertabends, berückend schön und voll klanglicher Finesse. Hier zog das Spitzenquartett sein Alsfelder Publikum wohl am allermeisten in den Bann. Ravels „Quatuor à cordes en fa majeur“ wirkt(e) sehr ‚französisch‘ ob seinem Esprit und seiner Eleganz – und ist dabei rational durchgestaltet. So werden die jeweils nächsten Sätze bzw. Teile vor deren Eintritt charakterlich antizipiert, in satztechnisch gekonnter bis raffinierter Weise. Das ‚impressionistische Zentrum‘ bildet der langsame 3. Satz mit klanglichem Flimmern und tonlicher Entrückung, aber auch einem düsteren, an Mussorgsky gemahnenden Gegenpol. Der letzte Satz könnte als Ravels „Take Five“ namhaft gemacht werden, wegen der grundlegenden Verwendung des Fünfer-Metrums. Mit ihm verweht und verwirbelt, wie hier meisterlich dargeboten, das Werk in gesteigerter Motorik. Kaum zu glauben, dass es einst einen Skandal auslöste; der kam allerdings nicht direkt durch seine Musik zustande, sondern durch die Tatsache, dass es gleichsam beckmesserisch von der Teilnahme am Wettbewerb für den Rompreis ausgeschlossen wurde.
Das „Ohrwurm“-Reservoir des Publikums aufzufüllen vermochte nach der Pause Antonín Dvo?áks bekanntestes und meistgespieltes Streichquartett, sein hochromantisches ‚Amerikanisches Quartett‘ in F-Dur. Es hat diesen Beinamen bekommen, da es während Dvo?áks USA-Aufenthalt (von 1892 bis 1895) entstand und, vor allem in Melodik und Satzart, einige ‚indianische‘ Elemente erkennen lässt. Zugleich aber sind deren meiste auch gleichsam ‚böhmische Dörfer‘, will sagen: sie verbinden sich mit Traditionen des geradezu sprichwörtlichen Musikantentums aus Dvo?áks geografischer Heimat Böhmen. Ohne allzu offene Kühnheiten und Experimente oder Innovations-Ansprüche konzipiert, dafür bewusst eingängig, konfliktarm und naturnah geformt, ist ‚das Amerikanische‘ doch hörbar ein Meisterwerk; luzide, frei von Allüren und gänzlich ohne ‚Effekthascherei‘ oder gar großsprecherische Anwandlungen, sozusagen offene und ehrliche Musik. So ließ sich dieses Opus, zumal in der eher verhalten und auf Entfaltung denn reißerisch angelegten Interpretation durch das Minguet Quartett, angesichts aktueller nordamerikanischer Geschehnisse auch als musikalischer und zugleich politischer Kontrapunkt, als ein Statement gegen Überdrehtheit oder gar lauthals tönende Brandstifterei wahrnehmen und genießen.
Die vom begeisterten Auditorium erklatschte Zugabe des Minguet Quartetts führte abermals in eine gänzlich andere Klangsphäre: Gewiss erstmals in Alsfeld erklang der sehr kurze 15. und letzte Satz eines Werkes des mittlerweile 98jährigen György Kurtág, „Officium Breve“ op. 28, das er im Gedenken an seinen ungarischen Landsmann Endre Szervánszky (1911-1977) schrieb, einen Avantgarde-Komponisten und Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten. Dieser bedächtige Satz heißt „Arioso interrotto“ und bricht so plötzlich ab, dass einige im Publikum doch etwas irritiert schienen; was die Empfindung eines hochkarätig erfüllenden Konzerterlebnissen freilich nicht im Geringsten trüben konnte. Die Mitglieder des Quartetts machten sich nach dem Konzert alsbald auf nach Venedig, zu einem Auftritt am Tag danach.
Das nächste Konzert der Reihe findet am Samstag, dem 18. Januar 2025 um 20 Uhr statt und gilt unterm Titel „Oh! That Cello“ den musikalischen Werken von Charlie Chaplin, der zumeist auch sein eigener Filmkomponist war.

Walter Windisch-Laube