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 Anton (links) und Viktor Urlavlov begeisterten beim Saisonabschluss der Konzertreihe "Alsfeld Musik Art" - Foto: mgg

 Die Frühlingssonate zum Frühlingsbeginn

 Gelungener Saisonabschluss von „Alsfeld Musik Art“ mit Anton und Viktor Urvalov

Alsfeld: (mgg)
Eine erfrischende Interpretation von Ludwig van Beethovens Frühlingssonate an einem der ersten wärmeren Frühlingstage – das war nur einer der Gründe, weshalb der Geiger und Bratschist Anton Urvalov und der Pianist Viktor Urvalov einen mehr als gelungenen Saisonabschluss der Konzertreihe „Alsfeld Musik Art“ ermöglichten. Die beiden Brüder hatten ein abwechslungsreiches Programm mitgebracht, mit dem sie ihr Publikum in der neuen Aula der Alsfelder Albert-Schweitzer-Schule faszinierten. Das Zusammenspiel beider Interpreten, die einander blind verstanden, sorgte für ein begeisterndes Erlebnis.

Der später gegebene Beiname der Beethoven-Sonate passt bestens zur Musik, wie auch der Alsfelder Musikwissenschaftler Walter Windisch-Laube in seinem Programmtext zum Konzert bemerkt. Kämpfe, wie sie für Beethovens Musik typisch sind, finden hier nicht statt, wenngleich sich gelegentlich Anwandlungen von Moll zwischen die erfrischenden Dur-Melodien drängen. Solche Nuancen spielten Anton und Viktor Urvalov wunderbar fein. Besonders gefiel der langsame Satz – nicht nur mit seiner sanften Bewegung, sondern auch mit der Art, wie er gegen Ende fast zum Stehen kam.

Mit Robert Schumanns Romanze in Fis-Dur op. 28, Nr. 2 hatte Viktor Urvalov ein Stück für Soloklavier mitgebracht. Das waren einige Minuten intensivsten Träumens, wobei der Pianist jeder Versuchung widerstand, seine Interpretation im Entferntesten kitschig klingen zu lassen.

Ein weiteres Solo hatte der Flügel mit Franz Liszts Ungarischer Rhapsodie Nr. 12. Viktor Urvalov legte seine Interpretation nicht in erster Linie auf die zweifellos vorhandene Virtuosität aus, sondern es gelang ihm, dem Stück eine musikalische Erzählung abzugewinnen. Einer der Gründe dafür war, dass er in den richtigen Momenten überaus zurückhaltend spielte und Luft nach oben ließ für knallige Passagen.

Nach der Pause spielte auch Anton Urvalov ein Solostück: die Suite für Viola solo von Adolf Busch. Der warme Klang seiner Bratsche war der ideale Träger einer Interpretation, die ebenfalls eine mehr als geglückte musikalische Erzählung war. Geige und Bratsche liegen Anton Urvalov hörbar gleichermaßen.

So kam die Bratsche auch beim Abschlussstück des Abends zum Einsatz. Die beiden Interpreten spielten die Klarinettensonate in Es-Dur op. 120, Nr. 2 von Johannes Brahms, und zwar in Brahms' eigener Bratschen-Version. Es gibt viele Interpretationen, in denen späte Musik dieses Komponisten ziemlich sperrig wirkt, weil diese extreme Energie früherer Werke nicht mehr da ist. Anton und Viktor Urvalov machten diese Sonate mit ihrer überaus differenzierten Spielweise wunderbar leicht zugänglich.

Für den zu Recht herzlichen und lang anhaltenden Applaus bedankten sich die beiden Brüder mit einer Komposition Robert Schumanns als Zugabe.

 

 

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Jan Luley, Brenda Boykin, Paul G. Ulrich und Tobias Schirmer (von links) bescherten der Konzertreihe „Alsfeld Musik Art“ einen weiteren Höhepunkt. Foto: mgg

Musik und Entertainment als wundervolle Einheit

Jan Luley Trio und Brenda Boykin gastierten bei „Alsfeld Musik Art“

Alsfeld: (mgg) Wenn die Sängerin Brenda Boykin und das Jan Luley Trio auf der Bühne zusammenkommen, dann ist das pure Magie, die mir Worten kaum zu beschreiben ist. Gemeinsam sorgten sie dadurch für einen weiteren Höhepunkt in der Konzertreihe „Alsfeld Musik Art“. Zum Trio gehörten neben dem Pianisten und Namensgeber Jan Luley der Kontrabassist Paul G. Ulrich und der Schlagzeuger Tobias Schirmer.

In die Aula der Alsfelder Albert-Schweitzer-Schule waren noch mehr Besucher gekommen als sonst – und es hat sich für sie gelohnt. Sängerin und Instrumentalisten boten weit über zwei Stunden voller New-Orleans-Jazz, Blues, Swing und Gospel. Es war ein ebenso abwechslungsreiches wie in sich stimmiges Programm mit tollen Titeln, die allesamt wunderbar zum Leben erweckt wurden.

Brenda Boykin ist eine Erzählerin – ganz gleich, ob sie singt oder moderiert. Ihr Stimmklang ist von den Legenden des Jazz, des Blues und des Gospel inspiriert, zugleich aber ist er Boykins ganz eigener. Allein schon die Dynamik ihrer Stimme ist beeindruckend. Ob große Emotionen oder musikalischer Humor – die Sängerin scheint einfach alles zur Verfügung zu haben.

Ob „Gee, Baby, Ain't I Good to You“ oder „See You Later, Alligator“, ob „Deed I Do“ oder „What A Friend I Have in Jesus“, die Sängerin machte aus den verschiedensten Titeln wunderbare Geschichten. Als Protestsong gegen US-Präsident Trump sang sie Irving Berlins „Blue Skies“. Denn solche Stücke, so die Sängerin, seien während der Depression der Dreißiger entstanden, als die Menschen Optimismus gebraucht hätten.

Musik und Entertainment bilden bei Brenda Boykin eine Einheit. Das zeigte sich unter anderem während eines Solos Paul G. Ulrichs. Sie wandte sich dem Bassisten dabei zu und sagte: „Erzähl mir mehr. Wirklich? Ich glaube dir nicht. Könnte möglich sein.“ Auch wie sie und Jan Luley einander die Pointen zuspielten, war herrlich. So suchte sie einmal nach einem Wort, woraufhin Luley zu der in Deutschland lebenden Amerikanerin sagte: „Wenn man von San Francisco nach Wuppertal zieht, passiert so was.“ Immer wieder schmückte Brendy Boykin Songtexte mit Geschichten aus, die sie dem Publikum wunderbar witzig erzählte. Auch das kam hervorragend an.

Jan Luley ist ein unglaublich vielseitiger Pianist und beherrscht den frühen Jazz genauso wie den Blues, den frühen Rock'n'Roll oder den Gospel (und noch viel mehr). Was er auch gerade spielt, immer ist es vollkommen stilecht und trägt dabei Luleys persönliche Handschrift. Sein melodischer Einfallsreichtum ist enorm, sein Ausdruck und sein Klang sind wunderbar locker.

Mit Paul G. Ulrich und Tobias Schirmer hat der Pianist zwei kongeniale Partner. Der wunderbar dicke und doch lockere Sound Ulrichs passt wunderbar zu Luleys Spiel. Ulrich sorgte für ein swingendes Fundament und brachte bei Soli seinen Bass zum Singen. Auch Tobias Schirmer ist ein Meister der Lockerheit. Niemals spielte er zu laut, immer hatte er den richtigen Groove. Alle vier Musiker kommunizierten absolut fein miteinander. Sie kochten die Musik immer im richtigen Moment hoch, um sie auch im richtigen Moment wieder ein wenig ruhiger werden zu lassen. Für den zu Recht großen und herzlichen Beifall bedankten sie sich mit zwei wunderbaren Zugaben.

 

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Geigerin Anne Luisa Kramb und Pianist Julius Asal sind geniale und konsequente musikalische Erzähler, wie sie bei „Alsfeld Musik Art“ bewiesen - Foto: Günkel

Packende musikalische Erzählungen

Unvergessliches Konzert mit Geigerin Anne Luisa Kramb und Pianist Julius Asal

Alsfeld: (mgg) Es wird so schnell nicht vergessen sein, wie die Geigerin Anne Luisa Kramb und der Pianist Julius Asal mit ihrem telepathischen Zusammenspiel für ein ganz besonderes Konzert der Reihe „Alsfeld Musik Art“ sorgten. Werke von Johannes Brahms, Maurice Ravel und Ludwig van Beethoven hatten die beiden mitgebracht. Die 17-jährige Kramb und der 20-jährige Asal werden sich, wenn sie ihre Spielweise weiterverfolgen, dauerhaft in die Herzen von Konzertbesuchern spielen, die in der Musik Erzählungen erleben wollen.

Mit der A-Dur-Sonate op. 100 von Johannes Brahms begannen die beiden ihr Programm. Es stammt aus einer Schaffensphase, als in Brahms' Stil nicht mehr diese elektrisierenden Klänge und Spannungen dominierten, sondern alles eher in sich gekehrt war. Als Interpret muss man bereit sein, sich ganz darauf einzulassen. Dem wurden die beiden Musiker allein schon durch die Wahl ihrer Tempi gerecht, was man in Zeiten vieler Hochgeschwindigkeitskünstler oft allzu sehr vermisst.

Bei Maurice Ravels „Tzigane“ kam noch etwas Weiteres dazu, das ebenfalls heute in vielen klassischen Interpretationen fehlt, das jedoch Aufnahmen vorwiegend aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft auszeichnet. Der Unterschied dieser alten Aufzeichnungen zu allzu vielen heutigen liegt nicht bloß in der Aufnahmetechnik, sondern vor allem auch in der Spielweise. Da ist meist eine extreme Dynamik und an den passenden Stellen so etwas Raues und Rohes.

Im Vordergrund steht da der Ausdruck und nicht irgendeine oberflächliche Art von Klangschönheit wie bei glattgebügelten Produktionen von heute. Es gibt immer wieder Zuhörer, die sich über die heute weit verbreitete Glätte beklagen – doch davon scheinen Hochschulen und Studios nicht viel mitzubekommen.

Die Geige fängt in der Ravel-Komposition alleine an, ehe das Klavier nach einer ganzen Weile dazukommt. Anne Luisa Kramb spielte diesen Soloteil mit einer Intensität, die mit Worten eigentlich nicht zu beschreiben ist. Hier ein paar wenige Eckpunkte: Lautes zeichnete sich vielfach durch ein unglaublich ausdrucksstarkes Vibrato aus. In schnellen Läufen schien sich die Musik zu überschlagen, was ungeheuer packend war. Es war aber auch nicht einfach alles nur laut, so dass die heftigsten Passagen auch ihre volle Wirkung erzielten.

In dem Teil des Stücks, in dem Geige und Klavier zusammenspielen, gibt es neben Ausbrüchen auch extrem leise, zauberhafte Momente. Die spielten Kramb und Asal genauso konsequent wie alles Kraftvolle. Gleiches galt für die wunderbar gestalteten Übergänge. Das war eine richtige musikalische Erzählung – mit einer genialen Gesamtdramaturgie und dementsprechend absolut mitreißend.

Wie das Duo mit Laut und Leise, mit Spannung und Entspannung arbeitete, davon profitierte auch Ludwig van Beethovens berühmte Kreutzersonate (A-Dur, op. 47). Gleich zu Beginn des ersten Satzes war sie wieder da, diese Konsequenz, die die Ravel-Interpretation so besonders gemacht hatte. Die lange Spieldauer der Beethoven-Sonate verging wie im Flug. Für den verdienten herzlichen Applaus und die verdienten Bravo-Rufe bedankten sich die Interpreten mit einer wunderbaren Zugabe: die zweite von Robert Schumanns drei Romanzen op. 94.

Hoffentlich spielen Anne Luisa Kramb und Julius Asal bald wieder in Alsfeld.

 

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Bei der Einspielprobe in Alsfeld: das Minguet Quartett  - Ulrich Isfort, Annette Reisinger, Aroa Sorin, Matthias Diener - Foto: Windisch-Laube

Virtuosität wird nie Selbstzweck

Erlebnis:  Das Minguet Quartett begeistert bei Alsfeld Musik Art mit Stücken von Mozart, Mendelssohn, Schumann und Bach

Alsfeld: (WWL) Es spricht ohne weiteres für das Renommee und die besondere Atmosphäre der Konzertreihe Alsfeld Musik Art, dass eine so etablierte und prominente Formation wie das Minguet Quartett, eines der führenden deutschen Kammermusikensembles und weltweit gefragt, hier auftritt. Die intelligente, offene, hochgradig bewusste Herangehensweise dieses seit fast drei Jahrzehnten bestehenden Streichquartetts an Werke des klassisch-romantischen Repertoires ebenso wie an Zeitgenössisches wird seit langem von Fachleuten wie vom Publikum gleichermaßen hoch geschätzt.

Das Quartett ist in Köln beheimatet und besteht in der heutigen Besetzung seit zehn Jahren: mit Gründungsmitglied und Primarius Ulrich Isfort, Annette Reisinger an der zweiten Violine, Aroa Sorin, Viola, und dem Cellisten Matthias Diener, vier äußerst sympathischen Musikerpersönlichkeiten. Gerade von einer USA-Tournee wiedergekehrt, haben sie am Samstag in Alsfeld Station gemacht und das heimische Kulturpublikum bewegt.

Drei große Streichquartette der klassischen und romantischen Literatur standen auf ihrem Programm – und, um es gleich vorweg zu sagen, mit ihnen drei Konzerthöhepunkte; vor der Pause: Mozart und Mendelssohn, von Wolfgang A. Mozart das erste seiner insgesamt sechs „Haydn-Quartette“, in deren Gestalt er den Dialog mit Widmungsträger Joseph Haydn suchte und über die Maßen erfolgreich fand. Sozusagen anstelle der Uraufführungs-Besetzung mit Vater und Sohn Mozart an den ersten Pulten spielte das Minguet Quartett dies Werk auf eine Weise, die Wolfgang Amadé gewiss begeistert hätte. Da wurde das Podium zu einer ganzen Welt der Bühne, ohne dass dabei die musikalische Darbietung ins allzu oder gar vordergründig Theatralische sich verengt hätte. Opernhaftes erstand als absolute Musik und zugleich als sprechende Szene, deren „Handlung“ gleichwohl eine rein klangspielerisch-gestische bleiben durfte. Die Interpretation des Mozartschen Aufbruchs-Werkes war so angelegt, dass seine Mittelsätze sich als künstlerisches und expressives Zentrum erzeigen konnten – während umgekehrt dann bei Mendelssohn und Schumann, gegen das unbestrittene Ausdrucks- und Aussage-Gewicht der Binnen- gerade die Besonderheit der Ecksätze eine Akzentuierung erfuhr.

Nachdem Mozarts Kopf-Allegro vivace das Publikum fast wie der Beginn einer Kurzgeschichte in die musikhistorische Konstellation und Situation des Wien der 1780er Jahre hineinversetzt hatte, begegnete der gebannten Zuhörerschaft im breit gefächerten Menuett und im weit mehr als bloß kantablen Andante der 26jährige Komponist als Experimentator in und im Formen, „Mozart the progressive“ sozusagen, und mit dem hohen Maß (vor-)romantischer Anteile und Ausdruckslagen seiner Musik, als „Mozart the expressive“. Der Finalsatz geriet unter den Händen, Fingern und Köpfen der vier Solisten dieses Ausnahme-Ensembles nicht so sehr zu einer Demonstration handwerklich-kompositorischer Finesse, mit welcher der Salzburg-Wiener Meister den Satz aus Fugenprinzip und Sonatenhauptsatzform schaffend erstellt hat, sondern zu einer Art spritzigem Opernfinale in aller Vielfalt der Charaktere und Stimmen.

So dramaturgisch zwingend vermittelte sich dies wie der gesamte Programmverlauf. Die erklärte Absicht der vier gestaltenden Künstler, die modernen, für unsere Zeit besonders aussagekräftigen Züge der Kompositionen qua Interpretation herauszuarbeiten, zeigte sich im Klangbild immer wieder auch darin, dass sie vor fahlen, vibratolosen Tönen nicht zurückschrecken, dass ihre spezielle Aufmerksamkeit den Brüchen, Umschwüngen, Stimmungs- und Spannungspausen gilt. Was den Zuhörenden an körperhaft-klangsinnlicher und gleichzeitig geistiger Dichte hier jederzeit spürbar wird, beruht auf der hohen Kunst des Ensembles, zwischen den klanglichen Polen Transparenz und Homogenität auf eine ganz eigene, immer neu sich auseinandersetzende Art zu vermitteln. Ebenso bezeichnender- wie ungewöhnlicherweise spielen die zwei Musikerinnen und zwei Musiker aus Partituren, haben also die Stimmen der anderen immer auch mit auf dem Pult. Ihre allzeit präsente spieltechnische Vollkommenheit (mehr denn bloße Perfektion!) und Virtuosität wird nirgends Selbstzweck, sondern gilt stets dem Bestreben, über alle schönen Töne und Ausdrucksbögen hinaus den Geist des Werkes aus seiner und für unsere Zeit zu erfassen und mitzuteilen.

Schon der Name des Quartetts ist in dieser Hinsicht Programm; er bezieht sich auf den spanischen Philosophen Pablo Minguet, dem es darum ging, die Schönen Künste und die Schönheiten oder besser: Tiefen der Kunst allen Menschen zugänglich zu machen. Dazu gehört selbstredend auch, was in Vollendung am Samstag zu erleben war: dass voller Energie und Schwung musiziert, dass Konzertieren und gedankliche Konzentration, Musikantentum und Bildungshorizont zu einer höheren Einheit der Intensität geführt werden.

Der vermeintlich glatt-elegante Mendelssohn wurde mit seinem oft als verhalten geltenden e-Moll-Quartett in der Interpretation der Minguets als ein Werk erfahrbar, in dem fruchtbare Ruhelosigkeit auf der Suche nach einer Vereinigung von Klassizismus und romantischen Extremen ein atmendes Gewebe erwirkt, in dem orchestrale Wirkungen, wie im Scherzo, Momenten größter Intimität (im Andante vor allem) gegenüberstehen. Der Elfenreigen wird zum alles andere als harmlos-gefälligen Spuk, das „agitato“ des Finalsatzes endlich in aller Schärfe beim Wort genommen. Felix Mendelssohn Bartholdy ist so nicht mehr Vor(be)reiter Schumanns, sondern dessen hochromantischer Weggefährte.

Die zu hörende Interpretation von Robert Schumanns A-Dur-Quartett baute in bestechender Weise darauf auf. Die im Kopfsatz sonst oftmals geglätteten Spannungen wurden an diesem Abend als gleichermaßen existentiell wie strukturell prägend exponiert. So erschien die Lyrizität des zweiten Themenkomplexes relativiert durch bewusste Unterstreichung seiner metrischen Verrückungen und gespenstischen Klang-Ausblicke. Der Scherzo-Variationen-Satz erhielt durch das Hervorkehren seiner Fragmente und emotionalen Extremlagen eine zusätzliche Dimension jenseits des allein „Schönen“. Daraus „erklärt“ sich unmittelbar dann auch die teilweise fast schmerzhafte Gespanntheit des Adagio-Satzes mitsamt seiner „himmlischen Längen“. Von den Schumannschen Personifizierungen seiner gespaltenen Gefühlswelt, dem empfindsamen Eusebius und dem stürmisch-sprunghaften Florestan mit bisweilen manischen Zügen, kommt Letzterem im Allegro molto vivace das Schlusswort zu. Doch auch dieses blieb in der Darbietung des Minguet Quartettes stets durchscheinend für seinen Gegenpol.

Die Zugabe war geradezu ein vierter Gipfelpunkt des Konzertabends. Sie galt einem Komponisten, der im Verborgenen ein gemeinsamer Nenner des Konzertprogramms gewesen: Johann Sebastian Bach, von allen drei Komponisten des Abends aufs stärkste verehrt, wie es sich auf unterschiedliche Weise in den Werken des Programms niedergeschlagen hat. Gespielt wurde nun exakt das gleiche Encore, wie es in einem vor eineinhalb Jahrzehnten vielgelesenen Streichquartett-Romans von Vikram Seth zum Ausklang eines Konzertes mit (ebenfalls) Mozarts G-Dur-Quartett gegeben wird, und wie am Samstag in Alsfeld ohne vorherige Ansage: Contrapunctus 1 aus Bachs letztem, unvollendet gebliebenem Werk, der „Kunst der Fuge“. Der Ich-Erzähler, zweiter Geiger des fiktiven „Maggiore-Quartetts“, schildert im Roman seine Zugaben-Erfahrung: „Unsere synchronen Visionen verschmelzen zu einer einzigen, und wir sind eins: miteinander, mit der Welt und mit dem lange toten Menschen, dessen Kraft wir mittels seiner in Notenschrift aufgezeichneten Phantasie und der einen schnell ausgesprochenen Silbe seines Namens spüren.“ Mit großer Wahrscheinlichkeit konnten etliche Zuhörer, Zuhörerinnen ähnliches an diesem Abend wiederholt erleben und empfinden, nicht allein während der Zugabe.

Eins nur „fehlte“ bei dem ebenso grandiosen wie erhellenden Konzertabend des Minguet Quartetts in Alsfeld: ein Werk der musikalischen Moderne oder Neuen Musik, für die das Ensemble eine allererste Adresse ist. Wer ihm in dieser Sache nicht nachreisen oder sich mit einer CD-Einspielung zufrieden geben möchte, darf auf ein nächstes Mal in Alsfeld hoffen, dann, wer weiß, womöglich gar mit einer Erst- oder Uraufführung.

Von Walter Windisch-Laube

 

 

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Elena Metelskaya sorgte mit ihrer unvergesslichen Interpretation der Goldberg-Variationen für einen Höhepunkt der Reihe „Alsfeld Musik Art“ - Foto: Günkel

Herausragender Moment der Konzertreihe

Elena Metalskaya spielt bei "Alsfeld Musik Art" unter anderem die Goldberg-Variationen

Alsfeld: (mgg) Es war einer der herausragenden Momente der letzten Jahre in der Konzertreihe „Alsfeld Musik Art“, als die Weimarer Pianistin Elena Metelskaya in der Aula der Alsfelder Albert-Schweitzer-Schule die „Goldberg-Variationen“ von Johann Sebastian Bach spielte. Ihre ebenso beschwingende wie bewegende Interpretation schlug die Konzertbesucher ganz in ihren Bann.

Bachs Variationszyklus bildete den zweiten Programmteil. Vor der Pause spielte Metelskaya Ludwig van Beethovens „Mondschein-Sonate“ und Auszüge aus Igor Strawinskys „Der Feuervogel“.

Die Pianistin ging einen anderen Weg als ein Großteil der Beethoven-Interpreten. Statt auf emotionale Extremzustände zu setzen und sie durch entsprechende Extreme von Laut und Leise auszudrücken, konzentrierte sie sich bei der „Mondschein-Sonate“ lieber auf die melodischen Linien als solche, darauf, die Stimmen klar herauszuarbeiten, was ihr auch gelang.

Dementsprechend kostete sie die schaurig-schöne Melancholie des ersten Satzes nicht ganz aus und machte den dritten nicht zu dem höllischen Ritt, der er sein kann. Der Klang ihrer eher intellektuellen Interpretation war durchweg sehr kompakt. Das war nicht das, was man sucht, wenn man Beethoven als eine Art Ur-Romantiker versteht, doch ihre Sichtweise transportierte Metelskaya konsequent und in sich schlüssig.

Auch bei „Danse infernale“ und „Berceuse et Finale“ aus dem „Feuervogel“ setzte die Pianistin nicht auf Affekte, sondern auf klare Melodielinien und einen kompakten Klang. Ihre enorme Virtuosität stellte sie ganz in den Dienst ihrer erneut konsequent umgesetzten musikalischen Herangehensweise. Die Klavierbearbeitung dieser Orchestermusik stammte von Guido Agosti.

Die „Goldberg-Variationen“ sind sehr umfangreich. Einer Aria schließen sich dreißig Variationen an, ehe am Ende die Aria wiederholt wird. Oft heißt es, dieses Werk sei schwierig zu hören – doch auf die Interpretation Elena Metelskayas traf das nicht zu. Sie packte einen von der ersten Sekunde an. Während der ganzen Aufführung ließ einen die Musik nicht los – und auch danach so schnell nicht. Die Melodien ließ die Pianistin für sich sprechen beziehungsweise singen. Jede der vielen Stimmen kam zur Geltung – mit ihrer Struktur und ihrer Emotionalität. Getragen waren die Melodien von einem wundervollen Puls. Der führte bestens vor Augen, warum Jazzer und Rocker Bachs Musik oft genauso lieben, wie klassische Musiker es tun.

So, wie das Werk aufgebaut ist, wirkt es ein bisschen wie das Modell einer Lebensreise mit allen emotionalen Seiten. Es gab feierliche Momente, tänzerische, ausgelassene, zauberhafte, spirituelle, entrückte, bedrückende – und vieles mehr. Die Musik setzte einen in Metelskayas Interpretation innerlich stark in Bewegung, ließ einen aber auch wieder zur Ruhe kommen. Am Ende der Lebensreise kam das Thema wieder – mit einer feierlichen Ruhe, die kaum zu beschreiben ist. Diese Interpretation war eine sagenhafte musikalische Erzählung. Das Ganze war hoch emotional, und wer wollte, konnte an der klaren Struktur auch ein intellektuelles Vergnügen haben.

Als kleine Zugabe beließ es Elena Metelskaya bei einem ganz kurzen „Happy Birthday“ für den anwesenden Alsfelder Pianisten Alexander Urvalov. Wie sie dem Publikum erklärte, wusste sie noch nie, was sie nach den Goldberg-Variationen noch spielen könnte. Dafür hatten die Besucher nach diesem äußerst intensiven Erlebnis auch großes Verständnis – wenngleich mancher von ihnen sicher gerne noch mindestens eine Stunde Bach von ihr gehört hätte.