(Foto: Wichert)
Maya Wichert
1. Preisträgerin des 9. Internationalen Louis Spohr Wettbewerbs für Junge Geiger
20 Uhr
Aula der
Albert-Schweitzer-Schule,
Schillerstraße 1, 36304 Alsfeld
Die Künstlerinnen
Yumiko Urabe | Klavier
Biografien:
Maya Wichert wurde 2006 in München geboren. Sie erhält seit dem vierten Lebensjahr Violinunterricht. Seit 2015 studiert Maya an der Hochschule für Musik und Theater München, zunächst in der Klasse von Prof. Sonja Korkeala und seit 2022 in der Klasse von Prof. Lena Neudauer. Zusätzlich erhält Maya Privatunterricht von Prof. Krzysztof Węgrzyn. Meisterkurse bei den Professoren Ana Chumachenco, Julia Fischer und Miriam Fried geben ihr weitere musikalische Impulse.
Maya ist seit ihrem fünften Lebensjahr mehrfache 1. Preisträgerin bei „Jugend musiziert“ in den Kategorien „Violine solo“ „Streicher-Ensemble“ und „Klavier-Kammermusik“. Neben dem erspielte sie sich im Alter von sieben Jahren den 1. Preis beim „Florian Meierott“ Wettbewerb auf Schloss Erlach. 2015 folgten der 1. Preis beim Carl Bechstein Wettbewerb in Berlin im Duo Klavier und Violine. 2016 gewann sie den 1. Preis beim Anton Rubinstein Internationalen Wettbewerb für junge Geiger in Düsseldorf. Beim Concorso internazionale "Il piccolo violino magico" 2016 in San Vito al Tagliamento Italien, wo sie mit dem Mitteleuropa Orchester auftrat, erhielt Maya neben dem 1. Preis, der eine Violine des italienischen Geigenbauers Fabio Piagentini aus Lucca sowie ein Stipendium beinhaltete, auch den Publikumspreis.
Im Rahmen des Oberstdorfer Musiksommers 2016 gewann Maya den Dr. Konstanze Koepff-Röhrs Förderpreis. Beim 9. Internationalen Louis Spohr Wettbewerb für junge Geiger in Weimar erspielte sich Maya im Oktober 2019 den 1. Preis in der Kategorie I (Jahrgang 2006 und jünger). Zusätzlich erhielt Maya den Sonderpreis für die beste Interpretation eines Violinkonzertes aus der 3. Runde, gestiftet von der Neuen Liszt Stiftung. Maya Wichert ist Gewinnerin des Discovery Award der International Classical Music Awards (ICMA) 2021.
Als Solistin konzertierte Maya Wichert bereits mit verschiedenen Orchestern in Deutschland, Italien und Slowenien. Im April 2018 wirkte sie als jüngste Künstlerin bei der Konzertreihe „Internationales Festival junger Meister“ mit, bei der sie mit dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim in Ravensburg, Lindau, Memmingen und Augsburg spielte. Darüber hinaus trat Maya als Solistin mit der Philharmonie Baden-Baden, dem Münchner Kammerorchester, dem Philharmonischen Orchester der Stadt Ulm, der Norddeutschen Philharmonie Rostock, dem Stuttgarter Kammer-orchester, der Jenaer Philharmonie, dem Sinfonieorchester Liechtenstein, dem Loh-Orchester Sondershausen und der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz auf.
Seit Jahren ist Maya eine sehr aktive Kammermusikerin und sammelte auch umfassende Orchestererfahrungen im Puchheimer Jugendkammerorchester (PJKO), einem der renommiertesten deutschen Jugendkammerorchester.
Die Deutsche Stiftung Musikleben präsentierte ihre Stipendiatin erstmals im Oktober 2020 bei Lunchkonzerten im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.
Maya spielt seit Februar 2020 als Preisträgerin der Deutschen Stiftung Musikleben eine Violine des neapolitanischen Meisters Nicolo Gagliano
(18. Jahrhundert), aus dem Besitz der Bundesrepublik Deutschland.
Yumiko Urabe wurde in Fukuoka, Japan geboren.
Sie studierte in Tokyo. Danach schloss sie das Meisterklassen
Studium bei Prof. Klaus Schilde ab.
Yumiko Urabe unterrichtet seit 1988 als Korepetitorin an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in München, wo sie 2006 zur Honorar-professorin berufen wurde.
Als Kammermusikpartnerin trat sie häufig mit Solisten wie
András Adorján, Lisa Batiashvili, Ana Chumachenco, Veronika
Eberle und Arabella Steinbacher auf.
Seit 2011 Offizielle Pianistin bei Kronberg Academy.
CD-Aufnahmen (NAXOS, Traversières, Phil.harmonie und AVIE)
Sie wurde mit dem “Fukuoka-Culture Award 2013” in Japan
ausgezeichnet.
Yumiko Urabe war bereits früher bei Alsfeld Musik Art zu Gast: im April 2014 als Klavierpartnerin von Christel Lee (Violine).
Das Programm
Ludwig van Beethoven (1770-1827):
Sonate für Klavier und Violine Nr. 6 A-Dur, op. 30/1 (1802)
Allegro
Adagio, molto espressivo
Allegretto con Variazioni – Allegro, ma non tanto
Eugène Ysaÿe (1858-1931):
Solosonate E-Dur Nr. 6, op. 27/6 (1924)
Allegro giusto non troppo vivo – Allegretto poco scherzando – Allegro (Tempo I)
-- Pause --
Gabriel Fauré (1845-1924):
Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 A-Dur, op. 13 (1875/76)
Allegro molto
Andante
Scherzo. Allegro vivo
Finale. Allegro quasi presto
Karol Szymanowski (1882-1937):
Nocturne und Tarantella für Violine und Klavier, op. 28 (1915)
Programm-betrachtungen
von Dr. Walter Windisch-Laube
Ein Programm, wie es international-europäischer kaum sein könnte: eröffnet vom Opus eines gebürtigen Bonners in seiner Wahlheimat Wien, bewegt es sich nach Belgien, um dann über Frankreich nach Polen zu führen. Jeder der beiden Konzertteile endet mit einem Werk aus dem 20. Jahrhundert und beginnt mit einer Sonate aus dem 19., freilich zum einen dem ganz frühen, zum anderen dem späten und spätromantischen 19. Jahrhundert. Alle Werke stehen in Kreuztonarten, die drei ersten in Dur; Szymanowski da hier die Ausnahme, indem seine zwei Sätze aus h- und aus e-Moll gehen, doch schließt auch er (wie Ysaye am Ende der ersten Programmhalbzeit) in E-Dur.
Zehn Violinsonaten schrieb Ludwig van Beethoven; für die Mehrzahl, nämlich sieben dieser Sonaten hat er als Grundton G, D oder A, die Töne dreier der vier leeren, ungegriffenen Geigensaiten gewählt – was Wunder, mag einer sagen, da doch die dazugehörigen Tonarten auf der Violine besonders hell und obertonreich klingen. Ja, und dreimal hat er (als junger Mann) hier zur Tonart A-Dur gegriffen (zuletzt mit der - nach ihrem Widmungsträger - so genannten ‚Kreutzersonate‘).
Die spielfreudige Nr. 1 aus op. 30 entstand wie ihre Schwesterwerke 1802, und mit ihnen schickte der Komponist sich an, etwas Neues in die Welt zu setzen: die große Konzertsonate für Violine und Klavier (oder um gekehrt, wie es im Original heißt, für Klavier und Violine). Im Eingangs-Duo: Markanter Beginn, dynamisches Haupt- und lyrisch-graziöses Seitenthema sowie klare Gliederung kennzeichnen den Kopfsatz, traditionell in ‚Sonatenhauptsatzform‘.
Ihm folgt ein eher anmutiges denn gesangliches, dennoch ausdrucksstarkes Adagio und als Finale bemerkenswerterweise ein freizügiger Variationensatz, weitgehend hell und von eingängiger, doch fantasiereicher Schlichtheit, um dann, angebahnt durch die Moll-Variation (No.5), in der sechsten und letzten (eigens mit „Allegro“ überschrieben) – einem Finale mit Gigue-artig jagendem Impetus – doch noch mächtig aufzudreh’n und strahlenden ‚Biss‘ zu zeigen.
Ein Kritiker fand das Werk, als es vor 220 Jahren auf der Bildfläche und den Podien erschien, etwas zu ‚alltäglich‘, nicht gedankenreich und originell genug – und doch, vornehmlich vermöge seines Adagio-Satzes, Beethoven würdig. Der konterte selbstbewusst: „Was die Leipziger Ochsen betrifft, so lasse man sie doch nur reden, sie werden gewiss niemand durch ihr Geschwätz unsterblich machen, so wie sie auch niemand die Unsterblichkeit nehmen werden, dem sie von Apoll bestimmt.“ Beethoven selbst sah sich seinerzeit am Beginn eines ‚neuen Stils‘, für die Forschung der Eintritt in seine zweite, mittlere Schaffensphase; das Leben des Komponisten wird da bereits vom Beginn seiner Schwerhörigkeit mitbe-stimmt. Wir können rückblickend feststellen: Wohl keine der ganz großen und besonders eindrücklichen Beethoven-Sonaten, und doch ein (mit andern zusammen) epochemachendes Werk; ein Zeugnis geistreich-schwungvollen Dialogisierens, das auch und gerade in Zeiten schwindender Dialogfähigkeit seine Wirkung nicht verfehlt.
Wer sich in den Künsten nach belgischen Kulturleistungen von europäischem Rang umtut, der mag recht schnell auf den Maler René Magritte stoßen, auf den Schriftsteller Georges Simenon und auf den Chansonnier Jacques Brel. Sie sind gleichsam die kulturellen Aushängeschilder Belgiens im 20. Jahrhundert. Wer etwas weiter sucht, wird bald entdecken, dass auch die Komponisten César Franck und Henri Vieuxtemps, die Maler Paul Delvaux und Fernand Khnopff Belgier waren, ebenso wie die Dichter Charles de Coster und Maurice Maeterlinck oder die Architekten Victor Horta und Henry van de Velde (die ihren Anteil daran hatten, Brüssel zu einem Eldorado der Baukunst werden zu lassen), und schließlich kommt er oder sie bei der Erkundung der kleinen Kulturnation Belgien auch um den Musiker Eugène Ysaÿe (1858-1931) nicht herum.
Ysaÿe, Jahrgangsgenosse von G.Puccini in der Generation Mahler – Debussy – Richard Strauss, herausragender Violinist jener Epoche, war noch nicht lange aus seinem Weltkriegs-Exil in England und den USA auf das europäische Festland zurückgekehrt, als er, bereits 65-jährig, seinen erst 30 Jahre alten Bewunderer Joseph Szigeti in Brüssel mit dem Konzertvortrag einer Bachschen Violin-Solosonate erlebte. Ysaye selbst hatte bei seinen Lehrern Vieuxtemps und Wieniawski das durchlaufen, was man die ‚Schule der Virtuosen’ nennen könnte. Angestoßen durch die Szigeti-Bach-Erfahrung, entwarf er binnen Tagesfrist, in einem kompositorischen Parforce-Ritt sechs eigene Solosonaten, die auf ihre Art eine Synthese bilden aus den hochvirtuos-brillanten (Solo-) Capricen Niccolò Paganinis und den tiefgründig-anspruchsvollen Bachschen Sonaten und Partiten für unbegleitete Violine. So wird Ysaÿe zum Neubeleber solistischer Violinliteratur im 20. Jahrhundert mitsamt der hohen Kunst des Akkordspiels auf der Violine. Ysayes Unterfangen ist im Hinblick auf solch disparate Vorgänger auch einem (zumindest nicht krachend missglückten) Versuch verglichen worden, Pfau und Adler zu kreuzen. Ein jeder möge sich beim Hören Ysayescher Solowerke selbst ausmalen, was für Vögel dabei herauskamen. J. Szigeti verstand die Sonaten als „geigerisches Testament“ Ysaÿes, in dem insbesondere der „Geigenstil dieses unvergleichlichen Interpreten“ für die Nachwelt dokumentiert sei.
Alle sechs Sonaten Ysaÿes sind auf Tonarten der leeren Violinsaiten gebaut (g, a, d, e, G, E); von Bachs sechs Werken für Violine solo (drei Sonaten und drei Partiten) wurden genau vier auf diesen Grundtönen errichtet. Ysayes Eingangs- und Schlusstonart entsprechen denen in Bachs Werkreihe; ja, und jede Sonate hat der belgische Meistergeiger 1923/24 einem führenden Vertreter der ihm nachfolgenden Violinisten-Generation dediziert, das erste Werk seinem Impuls-Geber Szigeti. Die sechste und letzte seiner Violin-Solosonaten, 1924 erschie-nen, versah Eugène Ysaÿe mit einer Widmung an seinen Schüler Manuel Quiroga, einen spanischen Komponisten-Violinisten. Wie die zweite Sonate der Reihe ist Nr. 6 ein einsätziges Werk mit einer Dauer von etwa 8 Minuten. Als einzige der sechs Sonaten wurde sie nicht vom Widmungsträger selbst gespielt. Spätestens ab 1937 war Quiroga nicht mehr dazu in der Lage, da er 46jährig in New York City einen Unfall erlitt, bei dem er so schwer verletzt wurde, dass ihm öffentliche Auftritte als Violinist überhaupt unmöglich wurden; fortan widmete er sich ganz dem eigenen Komponieren.
So ziemlich alle technischen Schwierigkeiten und Herausforderungen, die auf der Violine vorkommen können, erscheinen hier in komprimierter Form: u.a. vierstimmige Akkorde, Doppelgriff-Passagen (in Sexten, Terzen, Oktaven …), furiose Passagen aus Tonleiter-Komponenten und Akkordbrechungen, Tremoli, Trillerketten … und die oft aberwitzige Kombination aus ihnen. Für Lyrisches ist bei dieser Sonate insofern wenig Raum, als sich ihr einer und einziger Satz bei aller Ausdifferenzierung mittels phrasen- oder abschnittsweisen Tempo- und Spielanweisungen doch überwiegend in Sechzehntel- und kleineren Noten bewegt. Seinen Reiz bezieht das Werk aus dem vielfachen Wechsel von Charakteren und dem oft noch kleinteiligeren zwischen Figuren und Spieltechniken – die kombinatorische Verdichtung aus Bach und Paganini (oder Adler und Pfau?) hält eine/n jedenfalls beim Hören und Zuschauen in Atem.
Ein Werk des Aufbruchs ist auch Gabriel Faurés 1. Violinsonate. „Neue Bahnen“ hatte Robert Schumann seiner Leserschaft bezüglich des jungen Johannes Brahms versprochen, und ähnlich tat es Camille Saint-Saënts im Hinblick auf Gabriel Fauré, als dieser mit seinem kammermusikalischen Erstling, eben der Sonate op. 13, 1877 öffentlich auf den Plan trat. Was den älteren Mentor beeindruckte, war wohl vor allem die Art, wie Fauré Einflüsse der deutschen Hoch- und Spätromantik harmonisch und klangfarblich weiterführte zu einem neuen, als ‚französisch‘ empfundenen Ton, dem einer ‚Ars gallica‘. Damit erfüllte Fauré sozusagen ein Gebot der Stunde in Frankreich: nach dem gegen Preußen verlorenen Krieg und dem Ende des Zweiten Kaiserreichs wuchs dort der Wunsch nach einer ‚entgermanisierten‘ Musik, wofür auch die 1871 gegründete „Société nationale de Musique“ einstand.
Hierzulande ist Gabriel Fauré besonders mit einzelnen Charakterstücken präsent, beispielsweise in Kultur- und Klassikradio-Sendungen: „Pavane“, „Sicilienne“, „Après un rêve“ … Auch einige Barkarolen (französisch ‚Barcarolles‘ ) sind unter den ‚Best of Fauré‘. Diesem Typus des venezianischen Gondelliedes entspricht Faurés zweiter, langsamer Satz in op. 13. D-Moll, F-Dur und D-Dur sind seine Tonarten; Mandolinenbegleitung und Mondlicht (Klavierpart), Gesang eines Gondoliere (Violine), inniges Zwiegespräch Liebender (Violine und Klavier), all dies und mehr lässt sich aus Faurés Andante ungezwungen heraushören, und dennoch ist der Satz zugleich ein Stück ‚absoluter Musik‘, in dreiteiliger, sogar Sonatensatz-Form mit zwei Themen gehalten – und überdies auf César Francks A-Dur-Violinsonate ein Jahrzehnt später vorausweisend.
In seiner Virtuosität für Faurés Kammermusik eher untypisch, hinterlässt der dritte, der Scherzo-Satz einen unmittelbaren und wohl auch vorhaltenden Eindruck. An dieser Stelle sei nachdrücklich vermerkt, wie hoch die Anforderungen bei diesem Konzertprogramm insgesamt an die Pianistin sind, wofür die Etikettierung ‚Klavierbegleitung‘ eine geradezu sträfliche Verniedlichung wäre. In A-Dur (im 2/8-Takt) beginnt (und endet) der Scherzosatz, ein zweiter Teil führt erstaunlicherweise nach Des-Dur (2/8- und 3/4-Takt) und der eher lyrisch-verhangene Trio-Teil bewegt sich in fis-Moll. Mit der ‚Leichtigkeit von Distelwolle‘ verglich ein Komponistenkollege dies perlende bis (impressionistisch) flirrende Kabinettstück.
Bleibt die kurze Betrachtung der Ecksätze. Der 1. Satz, ‚Sonatenhauptsatz‘ auch der gleichnamigen Form nach, besticht von Anfang an durch seine Einheitlichkeit und die Gleichwertigkeit beider Instrumentalparts. Er kommt zunächst sehr à la Schumann daher; und die beiden Themen bilden keinen Dualismus, sind nicht auf Charaktergegensätzlichkeit angelegt, sondern gleichsam aus einer gemeinsamen Wurzel getrieben – als eine Art musikalischer Entsprechung zum Ansatz romantischer Identitätsphilosophie.
Leidenschaftlich und vielfach orchestral geht es dann im Finalsatz zu, in dem Brillanz, Eleganz und Verve eine geglückte Verbindung eingehen, zündend nicht zuletzt auch wegen seiner Doppelgriff-Passagen, seiner improvisatorischen und Romamusik-Komponenten.
Der polnische Komponist zwischen Chopin auf der einen, Lutoslawski und Penderecki auf der anderen Seite, das war Karol Szymanowski. Er wurde im 20. Jahrhundert zur einflussreichsten polnischen Musiker-Persönlichkeit, bis er 1937 mit nur 54 Jahren an Knochentuberkulose starb. Polen kann in den zwei Generationen nach dem musikalischen ‚Nationalhelden‘ Chopin im 19. Jahrhundert zunächst Moritz Moszkowski (*1854) und Ignacy Jan Paderewski (*1860) verzeichnen, die beide als reisende Klaviervirtuosen begannen und dann auch als Komponisten Bedeutung erlangten (Paderewski zudem als einflussreicher Politiker); beide lebten und wirkten weit ins 20. Jahrhundert hinein. Doch erst in der nächsten Generation gab es wieder einen polnischen Komponisten mit internationaler Beachtung und Bedeutung, auch bis in unsere Zeit, eben Szymanowski.
Die musikalischen Einflüsse auf Karol Szymanowski reichen von Wagner (dessen Musik er bei einer Reise in die Alpenländer Österreich und Schweiz kennen lernte), über (in Warschau vermittelt) Chopin und Skrjabin - welcher ja zunächst ebenfalls stark unter Einfluss des Chopinschen Œuvres komponierte -, über gediegene Kontrapunktik, mediterranen Impressionismus und Exotismus bis hin zu Strawinsky, Bartók und auch originär polnischer Volksmusik. Als Szymanowski 1915 Nocturne und Tarantella schreibt, hat er größere Reisen nach Italien (1909/10) und Nordafrika (1914) hinter sich, wodurch seine Tonsprache an Klangsinnlichkeit und Koloristik hinzugewinnt. Einflüsse von Werken Debussys und Ravels werden spürbar. Bereits der Titel des Opus 28, dieser brillanten und von stark rhythmischem Impetus gekennzeichneten Komposition, rührt an mehrere Pole von Szymanowskis Wurzeln und Anregungen: Chopin, Debussy, Italien, Folklore. Die Aufeinanderfolge von langsamem und schnellem Hauptteil ist in national folkloristisch beeinflussten, oft musikantisch ausgerichteten Traditionssträngen häufig: so in vielen ‚ungarischen‘ Werken von Liszt, Brahms, Dvořák u.a.
Spieltechnische und klangliche Möglichkeiten der Violine bekam Szymanowski durch den Geiger Pawel Kochański vermittelt (der als Interpret selbst die drei großen „B“ bevorzugte: Bach, Beethoven und Brahms). Karol Szymanowski wurde sogar bescheinigt, dass er als einer der ersten seit Paganini das Geigenspiel technisch und klanglich auf schöpferische Weise bereichert hat (unter anderem in 4 bedeutenden Violinsonaten). Dem Pianisten Arthur Rubinstein verdankte sein Freund Szymanowski einiges an klavieristischer Inspiration.
Die Tarantella ist, ihr Name lässt es schon anklingen, einer der schnellsten (Volks-)Tänze überhaupt und als solcher weidlich in die Kunstmusik des 19. Jahrhunderts eingegangen, mit diversen Nachwirkungen im 20.; Bewegungen ‚wie von der Tarantel gestochen‘ werden assoziierbar, wobei der Name des Tanzes ebenso wie derjenige der Spinne sich ursprünglich von der süditalienischen Stadt Tarent herleitet, in deren Umgegend es den sogenannten Tarentismus vor allem gegeben hat: eine bis heute nicht ganz enträtselte Erscheinung, über die seit dem späten Mittelalter immer wieder geschrieben worden ist (Legendenbildungen inklusive). Die Tarantella kann in ihrer ursprünglichen Form als eine Art Heiltanz gelten, mit dem gegen die Auswirkungen entweder eines Spinnenbisses oder eines Sonnenstichs vorgegangen wurde, gegen eben jenen Tarent- oder Tarantismus als ein Krankheitsbild, das teils im Volksglauben wurzelte, teils Emanation einer Art Hysterie gewesen sein dürfte, also aufgrund psychischer Dispositionen sich einstellte. Sicher ist, dass (wenn überhaupt) nicht der Biss der Tarantel die Symptome hervorrief, sondern allenfalls einer anderen Spinnenart. Die Musikgeschichte indes verdankt jenem Phänomen des Tarantismus (im Wechselspiel von Psyche, Legende und Aberglauben, körperlichem Befall, Rauschhaftigkeit und rituellen bzw. therapeutisch intendierten Bewegungsformen) allerhand Mitreißendes und eine beträchtliche Zahl potentieller ‘Rausschmeißer‘…