
© Seth Jacobson Photography
Dover Quartet
Samstag, 15. November 2025
20 Uhr
Aula der
Albert-Schweitzer-Schule,
Schillerstraße 1, 36304 Alsfeld
PROGRAMM
Jessie Montgomery (* 1981)
Strum
Pura Fé (* 1959)
Rattle Songs (arr. Jerod Impichchaachaaha' Tate)
1. Shanoojhee
2. Viri Kuta
3. Haweheemo
4. Grammah Easter's Lullaby
5. For the Pepper (In Memory of Jim Pepper)
6. Women's Shuffle
7. Great Grandpah's Banjo
Jerod Impichchaachaaha' Tate (* 1968)
Abokkoli' Taloowa' (Woodland Songs / Waldlieder)
1. Fani' (Eichhörnchen)
2. Bakbak (Specht)
3. Issi' (Hirsch)
4. Shawi' (Waschbär)
5. Nanni' (Fisch)
Antonín Dvořák (1841–1904)
Streichquartett Nr. 12 F-Dur op. 96
(‚Amerikanisches Quartett‘)
Allegro, ma non troppo
Lento
Molto vivace
Finale: Vivace, ma non troppo
Programmbetrachtungen
Rattle Songs
ist eine Suite von Kompositionen, die die Tuscarora-Sängerin Pura Fé Crescioni für das Ensemble Ulali geschaffen hat. Pura Fés Tuscarora-Cousine Jennifer Kreisberg und ihre Maya/Apache-Freundin Soni Moreno sind die beiden anderen Sängerinnen der Gruppe. Im Jahr 1994 schrieb dieses Trio Geschichte, als es sein Album Mahk Jchi (Our Hearts) veröffentlichte. Dieses Album ist ein einzigartiges Meisterwerk, auf dem indigene Lieder durch innovative Arrangements und atemberaubend reiche Harmonien modernisiert werden. Ihre Arbeit hat meine persönliche Vision als indigener Komponist stark beeinflusst, und ich bin sehr froh, dass sie meine Freunde sind.
Die Musik der Chickasaw basiert auf dem Schütteln von Schildkrötenpanzern als Perkussion für Stomp-Tänze und soziale Lieder. Das Volk der Tuscarora hat eine sehr ähnliche Tradition des Schüttelns von Schildkrötenpanzern, wie die meisten indigenen Waldstämme. In Rattle Songs hat Ulali Lieder aus verschiedenen Teilen der First Nation zusammengebracht und sie auf brillante Weise in den traditionellen Stil des Muschelschüttelns der Wälder eingebettet.
Camden Shaw, der Cellist des Dover Quartets, ist zufällig auch ein Fan des Mahk Jchi Albums. Als er entdeckte, dass ich eine Vorliebe für Ulali habe, fragte er mich, ob ich daran interessiert wäre, Rattle Songs für Streichquartett zu orchestrieren. Ich habe sofort zugesagt und war hellauf begeistert. Nach Rücksprache mit Pura Fé habe ich diese Orchestrierungen geschaffen, die klassisch impressionistisch in einem postmodernen Stil sind. Ich habe nicht absichtlich versucht, den genauen Klang der Rasseln aus den ursprünglichen Liedern zu imitieren, sondern habe ihnen im Streichquartett ein neues Zuhause gegeben. Pura Fé schuf die Rattle Songs als Hommage an ihre nordamerikanischen Ureinwohner, und ich hoffe, dass meine Orchestrierungen eine weitere Ebene der Ehrung unseres Volkes schaffen.
Aus den Begleitnotizen von Mahk Jchi:
In alten Zeiten trug eine Tuscarora-Frau den Namen „Ulali“ für ihre schöne Stimme. „Ulali“ ist der Name eines Singvogels (Wood Thrush), der Pura Fé, Soni und Jennifer von Lawrence Dunmore vom Occaneechee-Band der Saponi Nation in North Carolina gegeben wurde. „Ulali“ ist ein A-cappella-Trio von Frauen der First Nation, die in vielen Stilen und Sprachen ihrer Völker der westlichen Hemisphäre singen.
Woodland Songs
Abokkoli' Taloowa' (Woodland Songs, Lieder aus dem Wald), ein Auftragswerk des Dover Quartets, ist eine moderne Chickasaw-Komposition über Waldtiere aus unseren südöstlichen Heimatgebieten. Unsere traditionellen Waldtiere werden so verehrt, dass unsere Familienclans nach ihnen benannt sind. Meine Familie ist Shawi' Iksa' - der Waschbär-Clan.
Jedes Waldtier hat ein besonderes Ethos und es gibt viele traditionelle Geschichten über sie. In diesem Werk werden fünf Waldtiere dargestellt: Eichhörnchen, Specht, Hirsch, Fisch und Waschbär. Jede Bewegung ist wie eine Verkörperung - ein tiefer, dramatischer und rhapsodischer Ausdruck meiner Gefühle als Chickasaw-Mann aus einer wunderschönen und robusten Kultur. Ich liebe unsere Tiere, und ich liebe es, Werke über sie zu komponieren.
Abokkoli' Taloowa' ist voll von Chickasaw-Melodien, Rhythmen und musikalischen Strukturen. Manchmal treten diese Elemente sehr deutlich hervor, wenn die Melodie romantisch über dem Ensemble schwebt. Manchmal sind sie in die Textur des Quartetts abstrahiert und im Geist des Tieres versteckt. Ich erlaube mir, fließend zwischen kultureller Klarheit und modernem Expressionismus zu tanzen. Ich bin zutiefst inspiriert von unseren modernen indigenen Künstlern, Choreographen, Autoren und Filmemachern, die alle mit Stolz ihre individuelle Identität innerhalb ihrer reichen Abstammung zum Ausdruck bringen. Ich ermutige jeden Zuhörer, seine eigene emotionale Geschichte über jedes Tier zu erschaffen und diese Legenden in sein Herz einzuprägen.
Ich möchte betonen, dass die „Apostrophe“ am Ende der Tiernamen eigentlich keine Apostrophe sind. Es handelt sich um glottale Stopps oder glottale Konsonanzen, bei denen das diakritische Zeichen gerade nach oben und unten zeigt. Mein Chickasaw-Name verwendet das gleiche Glottalzeichen. Außerdem ist in meinem Chickasaw-Namen das erste „a“ immer unterstrichen. Das ist unser Zeichen für einen nasal ausgesprochenen Vokal.
Unterstützer
Auftragswerk für das Dover Quartet vom Curtis Institute of Music und den folgenden Mitauftraggebern: Arizona Friends of Chamber Music; Cal Performances, UC Berkeley; Carnegie Hall; Chamber Music Houston; Chamber Music Northwest; Chamber Music Pittsburgh; Chamber Music Society of Fort Worth; Friends of Chamber Music Denver; Kingston Chamber Music Festival; Northwestern University's Bienen School of Music und Shriver Hall Concert Series.
Jerod Impichcha̱achaaha' Tate
Dvořáks ‚Amerikanisches Quartett‘
‚Exterritorial‘ ist ein (von Theodor W. Adorno auf musikalisches Schaffen übertragener) Ausdruck, der sich für Antonín Dvořáks ‚Amerikanisches Quartett‘ aufdrängen mag; doppelt im geografischen Sinne: zum einen, da es mehr als 13.000 km entfernt von Dvořáks böhmischer Heimat entstand, nämlich in einem quasi ‚böhmischen Dorf‘ im US-Staat Iowa (rund 1.500 km westlich von New York), wohin sich Dvořák während der Sommermonate 1893 zurückgezogen hatte, in der Zeit seines insgesamt zweieinhalbjährigen USA-Aufenthaltes, den er vornehmlich als Konservatoriumsdirektor in der Metropole verbrachte; exterritorial ist dies Opus 96 aber auch innerhalb von Dvořáks Kammermusik-Œuvre: obschon mit Abstand sein beliebtestes Streichquartett, doch keineswegs repräsentativ für diesen Komponisten und seinen spätromantisch-kammermusikalischen Schaffensbereich – angesichts des Verzichts auf Experimente, ästhetische Reflexionen und musikhistorische Standortbefragung, in Anbetracht der Kürze sowohl des Werkes selber als auch seines Entstehungsprozesses, sowie wegen der (relativen) Schlichtheit, Transparenz und Unmittelbarkeit seiner musikalischen Erfindung wie auch des Tonsatzes; was jedoch keineswegs einfache Spielbarkeit bedeutet. Die Entspanntheit der musikalischen Anmutung (eine ebensolche im Komponieren spiegelnd), die Eingängigkeit des Klangfarbenreichtums und der Beiname mit Verweis auf die ‚Neue Welt‘ sind zugleich Alleinstellungsmerkmale innerhalb der Dvořákschen Kammermusik. ‚Indianische‘ Elemente lassen sich dabei wohl finden, sollten aber stets einer relativierenden Betrachtung unterzogen werden: Pentatonik (halbtonlose Fünftonleitern) als melodische Basis – äußert vielfältig angewandt –, Ostinati (sich wiederholende Bassfiguren) und Bordune (‚Dudelsack‘-Quinten) als Begleitung sind nämlich gleichermaßen auch Komponenten und Momente der böhmisch-musikantischen Überlieferung, in der Dvořák stark verwurzelt war und natürlich auch in Amerika blieb. Als Natur- und Landschaftsmusik zeugen viele Passagen des Werks indessen von der ländlichen Umgebung seines Entstehens, und das Ganze ist als ‚pastorale‘ / landschaftsidyllische Komposition atmosphärisch ebenso wie in etlichen Einzelmerkmalen auch eine kammermusikalische Antwort auf Beethovens 6. Sinfonie, die ‚Pastorale‘: mit etlichen greifbaren Gemeinsamkeiten, von der Tonart F-Dur angefangen bis hin zu eingearbeiteten Vogelrufen.
Mit sehr unterschiedlichen Bildern ist versucht worden, das Geschehen in der Interaktion eines Streich-Quartetts zu veranschaulichen. Berühmtheit erlangte Goethes Wort von 1829 [9. Nov.] an den Komponisten Carl Friedrich Zelter: „man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten, glaubt ihren Diskursen etwas abzugewinnen und die Eigentümlichkeiten der Instrumente kennen zu lernen“ – das Streichquartett als Gespräch(srunde) in Tönen; eine weder sehr originelle und altersinspirierte noch länger frische, da qua häufigem Zitieren vernutzte Äußerung. Ein anderes, neueres und gleichwohl etwas naives Bild für die Quartettmusik in Streicherbesetzung betont das Organische und ist damit durchaus fragwürdig, besonders im Hinblick auf neuere Werke: das Quartett als Baum, wobei das Cello die Wurzel repräsentiere, die Viola die Äste und die zwei Geigen Blättern und Zweigen entsprächen. Und dennoch, bei aller Problematik der Vergleiche: wir können sie als Pole gelten lassen, zwischen denen Streichquartettkomposition und -musizieren sich auch in unserem Programm bewegen. Immer erneut freilich hat das Genre Streichquartett der modellhaften Auslotung kompositorischer Möglichkeiten gedient, erschien dazu prädestiniert durch seine prinzipielle Vierstimmigkeit und die klangliche Gleichartigkeit der Einzelstimmen, wodurch Tonschöpfer fast stets zu besonderer Konzentration aufs Satztechnische, Strukturelle und speziell auf musikalische ‚Beziehungsarbeit‘ veranlasst wurden.
Walter Windisch-Laube
